Ein altes Lied ruft mit Gedanken aus der Bibel auf, die Zeit zu nutzen – wie die klugen Jungfrauen, die genug Öl bereithalten, um dem Bräutigam entgegengehen zu können.
Ausgabe: 2016/50
13.12.2016
Advent ist eigentlich immer. Denn es geht ja heute nicht mehr nur darum, das Warten auf den Messias nachzuvollziehen, das vor rund 2000 Jahren der Geburt Christi vorausging. Es geht ebenso darum, dass wir auch heute in einer Zeit der Erwartung leben. „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“, lautet das Geheimnis des Glaubens in der Messe. Im Kern des christlichen Glaubens geht es nicht nur um die Auferstehung Christi und unsere eigene Auferstehung. Es geht auch um die Wiederkunft des Herrn, das Ende der Zeit, den Jüngsten Tag.
Wann? Seit den ersten Gemeinden beschäftigt die Christ/innen diese Frage: Wann kommt der Herr wieder? Zum Gleichnis der klugen und der törichten Jungfrauen (Mt 25,1–13), auf welches das Lied „Wachet auf ruft uns die Stimme“ anspielt, sagt Jesus: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ Und an anderer Stelle steht: „Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.“ (Mt 24,36) Frohbotschaft. Und was passiert, wenn der Herr wiederkommt? Bibel (z. B. Mt 25,31–46) und Kirchenlehre sprechen vom Gericht, von der Unterscheidung der Gerechten und der Ungerechten, von Läuterung und Himmel – oder Hölle. An dieser Stelle fürchten manche, dass aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft wird. Da hilft das Lied von Philipp Nicolai. Denn es ist voll Freude. Es verbindet die Gottes-Erwartung bei Jesaja (52,8) mit unserer Erwartung der Wiederkunft des Herrn. Die Offenbarung sagt, dass Gott unter den Menschen wohnen wird. „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ (Off 21,4).
Blickrichtung. Und die Erwähnung von Menschen, die Christus als Richter nicht als die Seinen wird erkennen können (Mt 25,12)? Die Angst davor kann lähmen. Aber wir dürfen uns den Blick nicht ablenken lassen: „Fürchtet Euch nicht“, sagt der Auferstandene. Nicht die Verdammnis ist der zentrale Teil der Botschaft, sondern die Verheißung des ewigen Lebens. Denn wir können Christus entgegengehen, wie die klugen Jungfrauen in der Bibel und im Liedtext von Nicolai, die genügend Öl für ihre Lampen mitgenommen haben. Wenn wir im Glauben und in der Liebe zu den Mitmenschen Christus nachfolgen und so Gottes Willen erfüllen, wird in kleinen Ansätzen Gottes Reich schon heute spürbar – bis es sich mit Christus in Fülle verwirklicht und wir ihm in den „Freudensaal“ folgen dürfen, wie Nicolai es umschrieb. «
Gotteslob 554 Das Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, das insgesamt drei Strophen hat, wurde um 1599 vom lutherischen Prediger Nicolai (1556–1608) gedichtet und auch vertont. Auf dieser Grundlage schuf Johann Sebastian Bach 1731 seine berühmte gleichnamige Kantate, in welcher die drei Choralstrophen Nicolais durch Rezitative und Arien unterbrochen werden. Obwohl im Zeitalter der Glaubenskämpfe geschrieben, ist das Lied heute ökumenisch in der evangelischen, katholischen und altkatholischen Kirche sowie im freikirchlichen Bereich verbreitet.
Mit Liedern Richtung Weihnachten unterwegs Teil 6 von 7