„Maria durch ein Dornwald ging“ ist auf den ersten Blick ein einfaches, schönes Lied für das Gemüt, das vielleicht gerne zu Mariä Empfängnis gesungen wird. Schaut man genauer hin, ist es eine Meditation über Maria und das Kommen Jesu Christi in die Welt.
Ausgabe: 2016/48
29.11.2016 - Gisbert Greshake
Biblischer Hintergrund des Liedes ist der Hinweis des Lukas-Evangeliums (1,39–40), dass Maria nach der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel sich auf den Weg ins Bergland zu ihrer Verwandten Elisabet machte. Auch diese erwartete ein Kind, Johannes den (späteren) Täufer; ihr wollte Maria offenbar helfend zur Seite stehen, da sie „drei Monate bei Elisabet blieb und erst dann nach Hause zurückkehrte“ (1,56). Indem nun Maria den Gottessohn „unter ihrem Herzen“ zu Elisabet trug, begann bereits so etwas wie die Heilung der Welt. Denn in der Begegnung mit Maria „hüpfte das Kind vor Freude“ im Leib Elisabets (1,44).
Zeichen. Das Lied führt die biblischen Motive meditierend weiter: Der schwierige Weg ins Bergland wird stilisiert zum Weg durch den „Dornwald“, der „in sieben Jahrn kein Laub getragen“. Ein sprechendes Zeichen für die Welt, wie sie faktisch durch die Sünde des Menschen wurde, nämlich „voller Dornen und Disteln“ (Gen 3,18; Jes 5,6). So ist sie seit jeher („Sieben“ als Symbolzahl fürs Ganze und Immer-schon) ohne wahres Leben („kein Laub“), aggressiv und destruktiv („Dornen“). Doch indem Maria Jesus in den „Dornwald“ der Welt hineinträgt, beginnen „die Dornen Rosen zu tragen“, das heißt: Es beginnt die Erneuerung der verlorenen Welt. Zwar verschwinden die „Dornen“ nicht einfach, und auch der Wald wird nicht sogleich mit einem Laubmantel überzogen. Aber die Dornen tragen Rosen: Etwas von der Herrlichkeit des verheißenen kommenden Lebens, das in der Offenbarung (Kapitel 22) im Bild von Laub und Früchte tragenden Bäumen gefasst ist, wird schon erfahrbar verwirklicht, da Jesus durch Maria in die Welt gebracht wird.
Für uns alle. Dies alles gilt aber nicht nur für Maria. Sie steht vielmehr für jeden glaubenden Menschen. Von jedem gilt ja: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Mit anderen Worten: jeder von uns trägt Jesus „unter seinem Herzen“. Jeder ist wie Maria dazu berufen, IHN zu gebären, das heißt IHN im eigenen Leben neu Gestalt werden zu lassen und in die „dornige“ Welt zu bringen im Dienst an den Brüdern und Schwestern. So schreibt Angelus Silesius im Zuge einer langen Tradition:
„Ich muss Maria sein und Gott aus mir gebären, soll Er mir ewiglich die Seligkeit gewähren.“
Wo dies geschieht, wo Jesus in jedem von uns aufs Neue „geboren“ und in die Welt getragen wird, können auch im „Dornwald“ unserer Gegenwart „Rosen“ zu blühen beginnen.
Gotteslob 224 Über die Ursprünge dieses zarten und sehr beliebten Liedes gibt es nur wenige Hinweise. Im 19. Jahrhundert lässt es sich als Wallfahrtslied in der Diözese Paderborn nachweisen und erscheint 1850 in einer Liedersammlung von August Franz von Haxthausen (1792–1866). Von den ursprünglich sieben Strophen haben sich letztlich drei durchgesetzt. Populär wurde das Lied vor allem durch christliche Jugendbewegungen am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Maria durch ein Dornwald ging, Kyrie eleison. Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieben Jahrn kein Laub getragen. Jesus und Maria.
Was trug Maria unter ihrem Herzen? Kyrie eleison. Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen. Jesus und Maria.
Da haben die Dornen Rosen getragen, Kyrie eleison. Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen. Jesus und Maria.