Am kommenden Sonntag wird das neue Kirchenjahr eingeläutet. Gleichzeitig beginnt mit dem ersten Advent das Warten auf die ersehnte Wiederkunft Gottes.
Ausgabe: 2016/47
22.11.2016 - Barbara Thielly, Liturgiereferentin des Pastoralamts der Diözese Linz
Ja, der Tau hat mit kühlen Nächten und dem anbrechenden Tag zu tun. Jein, der Tau kommt vom Himmel: Er ist auf jeden Fall ein Phänomen, das durch Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit entsteht. Nein, ich habe noch niemanden sich den Tau herbeiwünschen gehört im Alltag. Er spielt bei uns keine wesentliche Rolle. Wir besingen den himmlischen Tau immer erst im Advent und verwenden dazu – einmal im Jahr – ein Spezialverb: „so tau doch/so taut doch ihr Himmel“ heißt es da. Es ist eine Bitte aus einem anderen Kulturkreis, der wir uns mit diesen Worten anschließen. Es ist ein Bild, das dem Volk Israel vertraut war und das uns durch den Propheten Jesaja überliefert wurde. Den Vorgang, der dahinter steht, kennen die Menschen in Palästina: Nach Sonnenuntergang bringen westliche Winde vom See her so viel Feuchtigkeit, dass es über Nacht zu ausgiebigem Taufall kommt.
Der Tau als Segen. Im Alten Testament findet man mehrere Bezüge auf dieses – für die Gegend – wertvolle Naturphänomen. Der Tau wird als Segen gesehen, er zeichnet unter anderem das Gelobte Land aus. Gottes Liebe und Treue zu seinem Volk sind wie dieser Tau von oben. Auch seine Worte werden damit verglichen. Und bei Jesaja steht das uns so vertraute Gebet um Gottes Gerechtigkeit und um den Gerechten Gottes, der wie Tau vom Himmel kommen möge. Ein Vergleich, der Wohlergehen, Leben in Gerechtigkeit und Frieden meint. Im Lied wird die Bitte dem Volk Israel in den Mund gelegt, das trotz seiner Erwählung die Gottferne und die bangen Nächte kannte.
Anregnen lassen. Wenn wir diese Worte singen, so knüpfen wir an die Erfahrungen unserer Schwestern und Brüder an. Wir besingen die Menschwerdung Gottes, geheimnisvoll wie der Tau, und wir ersehnen die Wiederkunft unseres Herrn, wir ersehnen den „Advent Gottes“. Jeder 4. Adventsonntag trägt diese Worte Jesajas (Jes 45,8) als Überschrift, denn sie sind der Eröffnungsvers des Gottesdienstes. Deutlicher als im Lied blickt er auch auf die Erde: sie möge sich auftun, bereit sein. Gott braucht Menschen, die sich ihm öffnen! Es war Maria, die es aussprach und lebte: „Ich bin bereit. Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Und wir heute? Die mir bis vor kurzem noch unbekannte dritte Strophe bringt wunderbare Bilder für unser Leben als Christinnen und Christen: So heißt es, man möge Jesus Christus als Gewand anziehen! Als Neugetaufte schlüpften wir in ein viel zu großes Taufkleid. Es ist eine lebenslange Aufgabe in dieses Kleid hineinzuwachsen und in der Christusähnlichkeit größer zu werden. Lassen wir uns in diesem Advent davon anregen! «
Gotteslob 790/791 Das Lied „Tauet, Himmel, den Gerechten“ ist ein deutsches Adventlied, das in mehreren Text- und Melodiefassungen vorliegt und in der katholischen Tradition der Roratemessen steht. Die Erstfassung des Textes stammt vom österreichischen Jesuitenpater Michael Denis (1729–1800) und erschien 1774.