In der Zeit Richtung Weihnachten wird viel gesungen und musiziert. Die Autorinnen und Autoren unserer Glaubensserie nehmen daher bekannte Kirchenlieder in den Blick und geben geistliche Impulse. Im ersten Teil (von 7) widmet sich der Eisenstädter Dommusikdirektor Thomas Dolezal dem Stück „Großer Gott, wir loben dich“.
Ausgabe: 2016/45
09.11.2016 - Thomas Dolezal
Man muss es erlebt haben, mit welcher Urgewalt das ‚Großer Gott, wir loben dich‘ ertönen kann, (...) wenn alle Glocken läuten, die Orgel ihr Äußerstes gibt und auch die, die sonst nur lustlos vor sich hinbrummeln, schmettern aus voller Brust. Ein Erschauern angesichts der Größe Gottes oder ein Überwältigtwerden vom ‚ozeanischen‘ Gefühl geht dann durch die Menge. Dieses Lied hat einen anderen Rang als die meisten übrigen Kirchenlieder, einen mächtigeren, umfassenderen, grundsätzlicheren, der es erlaubt, von einer Hymne zu sprechen.“ Leidenschaftlich pointiert der deutsche Theologe Hermann Kurzke (*1943), was vermutlich jede(r) Gottesdienst Feiernde bei „Großer Gott“ erlebt. In dem Lied ist der Eindruck, dem Lobpreis hinzuzutreten, in zeitlich wie räumlich bereits Gegebenes einzustimmen, außergewöhnlich präsent.
„Alles ist dein Eigentum"
Der Urtext von „Großer Gott, wir loben dich“ benennt in seinen ersten drei Strophen die beiden Ströme jeden Gotteslobs: 1. „Vor dir neigt die Erde sich“ – die sichtbare Welt, 2. „Cherubim und Seraphinen“ – die unsichtbare Welt, um schließlich in der 3. „Himmel, Erde, Luft und Meere“ – die Erde übernimmt darin den aus der himmlischen Schau überbrachten Lobgesang „Heilig, Herr Gott Zebaoth“ – zusammenzufassen: „Alles ist dein Eigentum.“
Persönliche Erfahrung
An diesen letzten Worten hängt für mich eine tiefgehende persönliche Erfahrung: Zu einem Gottesdienst im Wiener Stephansdom hatte man eine schwerkranke alte Frau in einer Sanitätsliege vor den Altarstufen positioniert. Den ganzen langen Gottesdienst verbrachte die Frau scheinbar teilnahmslos in ihrer Liege. Dann aber, zum Abschluss bei „Großer Gott“, brachte sie all ihre Kräfte auf und stimmte unter sichtbar großer Anstrengung in den Lobgesang ein: „Alles ist dein Eigentum“. «
Gotteslob 380
Der Text zu „Großer Gott“ entstand als Paraphrase des lateinischen Te Deum (4. Jahrhundert). Als Verfasser gilt der schlesische Priester Ignaz Franz (1768/1771). Die elf (ursprünglich zwölf) Strophen entsprechen den vier Abschnitten der antiken Vorlage, wobei die ersten drei Strophen deren ersten Teil wiedergeben: „Die Schöpfung preist den dreifaltigen Gott“. 1776 wurde dazu in Wien die heute gebräuchliche Melodie erstmals verlegt („Katholisches Gesangbuch, auf allerhöchsten Befehl Ihrer k. k. apostolischen Majestät Marien Theresiens zum Druck befördert“).