In der Bevölkerung macht sich oft Angst breit vor den Muslimen, über die man kaum Bescheid weiß und in deren Namen Fundamentalisten Terroranschläge durchführen. Ein Gespräch mit der Theologin Melanie Wolfers über die Fehler des linksliberalen Randes, den Sprengstoff in Bibel und Koran und die göttliche Ablehnung von Gewalt.
Ausgabe: 2018/09
27.02.2018 - Susanne Huber
Ängste gegenüber Menschen muslimischen Glaubens sind in unserer Gesellschaft verstärkt spürbar. Was kann dagegen getan werden? Melanie Wolfers: Wichtig ist, die Menschen, die Angst haben, nicht zu diffamieren, sondern mit ihnen ins Gespräch zu treten. Zweitens: Es braucht Bildung und Aufklärung – zum einen über die eigenen religiösen und geistesgeschichtlichen Wurzeln. Zum anderen über den Islam und dessen Grundannahmen, um differenziert hinzuschauen auf die Prägekraft von Religion. Ich denke, dadurch können sich unberechtigte Ängste auflösen. Es wird aber auch dahin führen, dass wir berechtigte Sorgen und Ängste klarer erkennen und benennen können. Und das gilt es auch zu tun – um unserer Gesellschaft und unserer freiheitlichen Demokratie willen. Drittens: Was vor allem Ängste abbauen kann, ist die konkrete Begegnung mit Menschen fremder Nationalität und fremden Glaubens. Gehen wir aufeinander zu und reden offen über das, was uns beschäftigt, und stellen wir das Gemeinsame über das Trennende!
Fehlt es denn so sehr an Glaubenswissen – auch bei den Christen bezüglich des Christentums?Wolfers: Fragen Sie nach einem Gottesdienst Christen „Wieso glaubt ihr an drei Götter?“. Das ist eine der großen Anfragen von Muslimen an Christen, dass wir angeblich den Monotheismus nicht wahren. Sie werden kaum jemanden finden, der erläutern kann, was denn der Glaube an den dreieinen Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – meint. Ich habe den Eindruck, dass es auch in der öffentlichen Debatte immens an Wissen fehlt und sie daher oberflächtlich geführt wird.
Ist das bei Musliminnen und Muslimen im Hinblick auf ihren Glauben anders?Wolfers: Muslime sind religiös oft gebildet. Sie kennen den Koran und ihre Traditionen mit ihrem Vorbehalt gegenüber einer säkularen Gesellschaft und dem Christentum. Wir Christen sind meistens wenig sprach- und auskunftsfähig, wenn es um den eigenen Glauben und um seine politische und gesellschaftliche Konsequenz geht. Für die westlich geprägten Menschen hat Religion ungemein an Bedeutung verloren. Sie ist Privatsache. Man traut der Religion keine Prägekraft mehr zu. Nun begegnen wir immer mehr Menschen, deren Leben ganz von ihrem Glauben bestimmt wird – Muslima und Muslime feiern den Fastenmonat Ramadan öffentlich; islamische Speisevorschriften finden sich in Menüangeboten etwa in Schulen. Da wird eine Ungleichzeitigkeit deutlich.
Warum ist es so wichtig in dieser Zeit Basiswissen über beide Religionen zu haben? Wolfers: Die Frage ist: Wie gelangen wir dahin, dass wir gemeinsam mit unseren Mitmenschen muslimischen Glaubens unsere demokratische Gesellschaft gestalten? Dieses Anliegen ist uns sehr wichtig. Deswegen versuchen wir mit unserem Buch die Grundbotschaft des Christentums und seine Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Islam zu vermitteln. Es braucht das Entdecken der Chancen und auch der Schwierigkeiten und Gefährdungen. Damit ein Dialog gelingen kann, müssen wir unsere geistesgeschichtlichen Wurzeln kennen; Europa und freiheitliche Demokratien sind wesentlich von einer christlich geprägten Geistesgeschichte mitbegründet.
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Wo gilt es nun in unserer Gesellschaft Grenzen zu setzen gegenüber religiösen Traditionen? Wolfers: Hier sollten wir in den Blick nehmen: Wo geraten religiöse Ausdrucksformen und auch ihre Grundannahmen in Widerspruch zu unseren zentralen Werten? Toleranz darf nicht heißen, Unterschiede und Unvereinbarkeiten zu kaschieren, sondern es geht darum, Unterschiede auszuhalten im Respekt voreinander. Probleme lösen wir nicht dadurch, dass wir sie unter den Teppich kehren. In der öffentlichen Diskussion gibt es nicht nur einen harten rechten Rand, sondern auch einen harten linksliberalen Rand, der das Benennen kritischer Punkte des Islam sofort als islamophob verdächtigt. Das halte ich für falsch.
Welche Inhalte im Islam sehen Sie besonders herausfordernd? Wolfers: Kritisch sehe ich unter anderem, dass in der klassischen islamischen Tradition bis heute das Verhältnis von Muslimen und Nicht-Muslimen ein Verhältnis der Abspaltung ist. Nicht-Muslime werden als Menschen zweiter Klasse angesehen und behandelt. Das macht ein friedliches Leben in einer multireligiösen Gesellschaft natürlich schwierig. Bedenklich finde ich auch das Verhältnis des traditionellen Islam zum Recht. Viele Muslime setzen voraus, dass es eine Reihe unveränderlicher islamischer Gesetze gibt, verankert im Koran und der Scharia. Das muss zwangsläufig zu Konflikten mit den Gesetzen von säkularen Staaten führen. In unserer säkularen Demokratie haben die staatlichen Gesetze ganz klar Vorrang vor religiösen Vorschriften. Im Buch wird darauf hingewiesen, dass es in beiden Religionen einen großen Reichtum an spirituellen Traditionen gibt. Was sind markante Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum?Wolfers: Als Christen teilen wir mit Muslimen die wichtige Erfahrung, dass der Glaube sich nicht auf der Ebene eines Hobbies bewegt, sondern dass er uns durch und durch prägen und ergreifen will. Eine andere Gemeinsamkeit ist die Einsicht „Gott ist größer“ – im Islam „Allahu akbar“, ein Bekenntnis, das von islamischen Terroristen als Schlachtruf missbraucht wird. In der christlichen Theologiegeschichte, etwa beim Benediktiner-Mönch Anselm von Canterbury, stoßen wir immer wieder auf den Gedanken „Gott ist größer“ – wir können von ihm nicht angemessen reden. Eine tiefe Ehrfurcht vor dem göttlichen Geheimnis des Lebens drückt sich darin aus. Gott ist immer größer als alle unsere Vorstellungen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist schließlich die Bedeutung der Glaubensgemeinschaft und von religiösen Vollzügen wie beten, Gottesdienste feiern und fasten.
Und die Unterschiede?Wolfers: Die möchte ich sehr pointiert formulieren: Christen glauben, Gott ist Mensch geworden; Muslime glauben, Gott ist Buch geworden. Muslime sind davon überzeugt, dass der Koran wortwörtlich von Gott diktiert ist. Deswegen ist der Koran göttliches Wort. Als Christen glauben wir, dass Gott uns im Menschen Jesus unüberbietbar nahe kommt. Und wenn Gott sich in Jesus Christus zeigt, glauben wir, dass Gott uns in jedem Menschen begegnet. Anders als im Islam werden die Riten und Gebote im Christentum nicht als von Gott erlassen angesehen. Vielmehr werden sie von der Gemeinschaft der Glaubenden entwickelt und festgelegt. Die Gesetze und Formen können und sollen an neue Zeiten und Orte schöpferisch angepasst werden. Sie sind der menschlichen Gestaltung anvertraut.
Im Koran ist das anders ...Wolfers: Im Koran sind religiöse Vollzüge genau vorgeschrieben und es gilt, diese göttlichen und daher unveränderlichen Regeln zu achten. Sie dürfen sich auch durch die Jahrhunderte nicht ändern. Was die Frage nach der Gewalt anbelangt, so finden sich im Koran wie in der Bibel Passagen, die zum Frieden auffordern und die Gewalt rechtfertigen. Texte in beiden Büchern können Sprengstoff sein, um Hass zu schüren.
Hinsichtlich des christlichen Glaubens wird im Buch aber Bezug genommen auf die Person Jesu, der voller Barmherzigkeit und Liebe ist ...Wolfers: Ja. Im Leben Jesu zeigt sich ganz klar, was sich in der Bibel immer mehr herauskristallisiert hat und in Jesus seinen Höhepunkt findet: Gott lehnt jede Gewalt ab. Es darf keine Gewalt im Namen Gottes geben. Jesus stirbt gewaltlos am Kreuz und lässt Gewalt an sich auslaufen, um so den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt aufzubrechen. Das ist eine der klaren Lebensbotschaften Jesu. Gott ist Liebe – eine Spitzenaussage der Bibel. «
- Buchtipp: „Religionen als Sprengstoff? Was man heute über Islam und Christentum wissen muss.“, Melanie Wolfers, Andreas Knapp. bene! Verlag, 2. Auflage 2018. Euro 15,50.