Einmal absehen von dem, was fehlt, und hinschauen auf das, was ist, denn man lebt nicht von dem, was einem fehlt, sondern von dem, was da ist. Wäre das nicht eine phantastische Perspektive? Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2016/45
08.11.2016 - Matthäus Fellinger
Es ist oft nicht einfach mit ihnen. Mit Menschen nämlich, deren Augenmerk vor allem dem Fehlenden gilt: Was sie nicht haben, aber gern hätten, was sie nicht geworden sind, aber gerne geworden wären, was sie früher geschafft haben, aber jetzt nicht mehr können. Immer mehr geraten sie in eine Haltung des Selbstbedauerns und Klagens. Ausgeschlossen fühlen sie sich vom Glück.
Den Blick müssten sie wenden: Einmal absehen von dem, was fehlt, und hinschauen auf das, was ist, denn man lebt nicht von dem, was einem fehlt, sondern von dem, was da ist. Wäre das nicht eine phantastische Perspektive? Der Extrembergsteiger von einst muss dann nicht traurig sein, dass er den Achttausender nicht mehr schafft. Er kann sich über die paar Schritte freuen, die hinauszugehen ihm möglich sind. Man muss nicht in Heiligengeschichten lesen, um faszinierende Vorbilder einer solchen lebenszugewandten Haltung zu entdecken. In Rollstühlen begegnen sie einem, in einfachen Zimmern, in lauten Straßen. Menschen, mit denen man nicht gerne tauschen möchte, aber aus ihren Gesichtern gähnt nicht Leere, sondern Leben. Zufriedenheit eben. Das macht sie frei. Das Glück liegt nicht im vielen, das fehlt, sondern in der Fähigkeit, es in dem zu entdecken, was ist. Dazu gehören vor allem die Menschen, die einem das Leben in die Nähe spielt.