„Neue Fairness“ nennt es die Bundesregierung. Von „sozialer Kälte“ sprechen manche Kritiker. Die Kirchenzeitung hat sich mit Experten für Sozial- und Familienpolitik Teile des Regierungsprogramms angesehen.
Ausgabe: 2018/06
06.02.2018 - Heinz Niederleitner
Die Regierung sieht vor allem den geplanten Familienbonus als Fortschritt: ein Steuerabsetzbetrag für Familien von bis zu 1500 Euro pro Kind und Jahr. Familien mit geringem Einkommen, die keine Steuern zahlen, haben aber nichts davon. Die Regierung hat für diese Familien erhöhte Alleinerzieher- und Alleinverdienerabsetzbeträge versprochen – Details dazu sind aber noch unklar.
Alfred Trendl, Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreich, lobt den Familienbonus, betont aber, dass das kein „Gnadenakt“ der Regierung sei: „Familien sind die einzige Gruppe, in der Menschen gesetzlich verpflichtet sind, ihr Einkommen mit anderen – nämlich mit den Kindern – zu teilen. Hier hat auch der Verfassungsgerichtshof gesagt: Wer nicht nur sich selbst versorgt, soll weniger Steuern zahlen.“ Der Familienbonus sei eine familienpolitische Maßnahme, aber keine Sozialmaßnahme. Eine andere Frage sei, warum es dennoch viele Familien mit Armutsgefährdung gibt. „Da sind primär Länder und Gemeinden als jene Stellen gefragt, die für Sozialausgaben zuständig sind“, sagt Trendl.
Martin Schenk, Mitbegründer der Armutskonferenz und Stellvertretender Diakonie-Direktor, findet es grundsätzlich gut, wenn mit dem Bonus Familien mit mittleren Einkommen unterstützt werden. Doch die Menschen in den untersten Einkommensschichten, denen vor dem Hintergrund des Evangeliums die besondere Aufmerksamkeit gilt, erreiche man nur mit Sozialleistungen und öffentlichen Dienstleistungen.
Hartz IV?
Kritisch sieht Schenk den Plan, dass die Deckelungskürzung der Mindestsicherung mit 1500 Euro auf ganz Österreich ausgeweitet werden soll. „Wir haben Daten zu den Auswirkungen in Niederösterreich: Negativ betroffen sind vorrangig Familien mit vielen Kindern, Alleinerziehende mit zwei oder drei Kindern, Familien, in denen Menschen mit Behinderungen leben, und pflegende Angehörige.“ Dem Regierungsprogramm entnimmt Schenk aber noch mehr: „Verschiedene Elemente im Regierungsprogramm lassen zusammen betrachtet erkennen, dass im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit ein Hartz-IV-System wie in Deutschland vorbereitet wird – auch wenn man das nicht so nennt. Dazu gehört, dass die Mindestsicherung an die Stelle der Notstandshilfe treten soll. Hier wird von einer Versicherungs- auf eine Fürsorgeleistung umgestellt. Verbunden ist das mit dem Zugriff auf Erspartes, dem Wegfall von Pensionszeiten und Zwangsmaßnahmen mit prekärer Arbeit, die an die 1-Euro-Jobs in Deutschland erinnern“, sagt Schenk. Diesen Jobs wird vorgeworfen, einen künstlichen Billiglohnsektor mit negativen Auswirkungen für alle Arbeitnehmer/innen zu schaffen. Viel diskutiert wird auch die Indexierung der Familienbeihilfe: Konkret würde das bedeuten, dass einer in Österreich Erziehungsberechtigten weniger Familienbeihilfe ausgezahlt wird, wenn das Kind in einem EU-Land lebt, das niedrigere Lebenshaltungskosten hat. „Da machen wir eine folgenschwere Debatte auf, die auf uns selbst zurückfallen kann“, sagt Schenk. „Die Lebenskosten differieren ja auch innerhalb von Österreich. Insgesamt bräuchten wir Schritte in Richtung zu einem sozialeren Europa Die Indexierung ist da eher kontraproduktiv.“
Anpassung
Alfred Trendl sagt, dass sich vermutlich überhaupt erst beim EU-Gerichtshof zeigen wird, ob eine solche Indexierung mit dem EU-Recht im Einklang steht. Was die Familienbeihilfe insgesamt betrifft, sei er „enttäuscht, dass es wieder keine gesetzliche Wertanpassung entsprechend der Inflation geben soll. Bei der Parteienförderung ist das im Gegensatz zu den Familien durchaus vorgesehen. Zum 1. Jänner gab es eine einmalige, von der alten Regierung beschlossene Wertanpassung, eine Fortsetzung ist aber leider nicht geplant.“ Bei der im Regierungsübereinkommen angeregten Diskussion um den weitgehend aus Dienstgeberbeiträgen dotieren Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) wünscht sich Trendl „keine weitere Kürzung“, nachdem der Dienstgeberbeitrag herabgesetzt wurde. Er verstehe zwar, dass man die Lohnnebenkosten senken wolle – „aber warum soll das ausschließlich zu Lasten der Familien passieren?“
Entwicklung
Familienverbands-Präsident Trendl lobt, dass man mit der neuen Regierung über Themen reden könne, die zuvor nicht angesprochen werden konnten. So seien eine Enquete über die eugenische Indikation (erlaubte Abtreibung bei erwartbarer Behinderung) und die Stärkung der Pflege von Angehörigen zu Hause geplant. Sozialexperte Schenk sieht die geplante Mindestpension von 1200 Euro (1500 Euro für Paare) an sich positiv, verweist aber auf die Voraussetzung: „Vor allem Frauen, die Kinder erzogen haben, können die 40 Beitragsjahre nicht vorweisen. Sinnvoll wäre Altersarmut präventiv zu verhindern, die Abschaffung der Notstandshilfe oder mehr prekäre Jobs werden sie erhöhen.“