Politische Umbrüche wie der Rechtsruck in Österreich fordern die Demokratie heraus. Warum sind so viele Menschen verunsichert? Warum wollen sie, dass die Gesellschaft sich ändert?
Ausgabe: 2018/05
30.01.2018 - Christine Grüll
Viktor Orbán war Ende Jänner zu Besuch in Wien. Der ungarische Ministerpräsident regiert sein Land ohne nennenswerte Kon-trolle durch andere Parteien. Das Wahlrecht wurde zugunsten seiner Partei verändert, Justiz und öffentlich-rechtliche Medien sind auf Linie gebracht und Hilfsorganisationen, Flüchtlinge und die Europäische Union wurden zu Feindbildern erklärt. Trotzdem wird Viktor Orbán von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache geschätzt.
Verunsicherung
Viktor Orbán ist Teil eines rechtspopulistischen Netzwerks in Europa. Dazu zählt Walter Ötsch auch Vertreter der österreichischen Regierung. Der Ökonom sprach im Diözesanhaus Linz gemeinsam mit Severin Renoldner, Professor für politische Bildung, über den Rechtsruck in Europa. Viele Menschen wählen rechtspopulistische Parteien, weil sie Angst vor dem sozialen Abstieg haben bzw. sich nach einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft sehnen. Warum? „Im Kapitalismus steigt die Ungleichheit durch die ständige Umverteilung nach oben“, sagt Walter Ötsch und nennt einige Beispiele: Großkonzerne werden mit Steuergeld subventioniert, Reiche zahlen im Verhältnis weniger Steuern als „Normalbürger/innen“, öffentliche Dienste werden abgebaut und privatisiert und immer mehr Lebensbereiche werden den Regeln der Wirtschaft unterworfen. Das heißt, der Druck in der Arbeitswelt nimmt zu. Der technische Fortschritt hat wirtschaftliche Fragen international miteinander verflochten. Ein weltweiter sogenannter „Markt“ ist entstanden. Die Bevölkerung erlebt, dass ihre Politiker/innen den Gesetzen dieses Marktes kaum etwas entgegenhalten können. Das alles verunsichert. Rechtspopulistische Parteien machen sich das zunutze. Sie versprechen, die Verhältnisse überschaubarer und steuerbarer zu machen. Um von unpopulären Maßnahmen abzulenken, wecken sie den Neid gegenüber meist schwächeren Gruppen. Sie teilen die Gesellschaft in ein gutes „Wir“ und die bösen „Anderen“ – Muslime, Flüchtlinge, die „Elite“ und Menschen, die „das Sozialsystem ausnützen“. Gefährdet das die Demokratie?
Rückschläge
In einer Demokratie werden Minderheiten und Menschenrechte geachtet. Die Staatsgewalt wird auf Regierung, Gesetzgebung und Justiz verteilt. Das begrenzt Macht und sichert Freiheit und Gleichheit der Bevölkerung. „Eine Demokratie ist ein offenes System, das auch seine Gegner hereinlässt“, sagt Severin Renoldner. Wenn die Gegner demokratischer Verhältnisse an die Macht gelangen, können sie diese aushebeln. Das passiert aktuell in Österreich nicht, so Renoldner: „Aber die Demokratie erlebt gerade Rückschläge.“ «
Zur Sache
Die Rolle der Massenmedien
Die Mehrheit der Bevölkerung in Österreich will Arbeitsplätze und einen funktionierenden Sozialstaat. Sie will keine Spaltung im Land, sagt Severin Renoldner. Die mediale Berichterstattung und die Einträge in sozialen Netzwerken wie Facebook zeichnen jedoch das Bild einer Spaltung. Die einen sind von den Veränderungen, die die Regierung verspricht, begeistert. Die anderen beunruhigt. Schuld daran ist u.a. der Einfluss von Burschenschaften in der Regierung, die teils rechtsextremes Gedankengut pflegen. Aber auch die Unruhe, die immer wieder durch einzelne Regierungsmitglieder erzeugt wird. Mithilfe der Sprache werden ständig Grenzen überschritten, um interessant zu bleiben, so Walter Ötsch. Massenmedien spielen hier mit.
Wem nützen Krisen? „Massenmedien warten auf die Krise, um darüber zu berichten“, sagt Severin Renoldner. Er empfiehlt, politisch und medial überhöhte Krisen wie z.B. die Bedrohung des Sozialstaates durch Flüchtlinge oder „Arbeitsunwillige“ zu hinterfragen: Wem nützt es, wenn solche Ängste geschürt werden? Eine Möglichkeit, diesen entgegenzuwirken, könnten Leserbriefe und Einträge in sozialen Netzwerken sein.