Wie Jugendliche mit beruflicher Unsicherheit umgehen können, welche Rolle Erwachsene dabei spielen und was er unter Belohnungskultur versteht, verrät der Erziehungswissenschaftler Franz Josef Krafeld.
Ausgabe: 2018/03
16.01.2018 - Paul Stütz
Am meisten Zuwendung der öffentlichen Hand bekommen Jugendliche am Rand der Gesellschaft durch Schulungs- und Beschäftigungsprogramme. Ist das der richtige Ansatz?
Franz Josef Krafeld: Das glaube ich nicht. Wir müssen weg von leeren Versprechungen, wenn die Jugendlichen Fortbildung machen, hätten sie am Arbeitsmarkt eine Chance. Wir müssen mehr Möglichkeiten schaffen von tatsächlicher Integration.
Wie kann das geschehen?
Krafeld: Ich sehe nur darin eine Chance, die rigide Trennung zwischen nützlicher Arbeit und Lohnarbeit in unserer Gesellschaft abzubauen. Wir haben in unserer Gesellschaft ganz viel nützliche notwendige Arbeit in allen sozialen Bereichen. Wir müssen diese unbezahlte Arbeit aufwerten. Gerade bei Jugendlichen, die gesellschaftlich am Rand stehen, ist es oft sehr wichtig, dass sie in ihrem Umfeld ein Stück Anerkennung und Bestätigung finden. Wenn ihr Engagement in der Nachbarschaft bekannt ist, bekommen sie auch eine ordentliche Anerkennung und Wertschätzung.
Wer hört Jugendlichen zu, die am Rande der Gesellschaft sind?
Krafeld: Die Bereitschaft, mit denen in Beziehung zu treten und Kontakt aufzubauen, ist sehr gering. Das Muster ist eher: Die sollen mir gefälligst zuhören, aber was die zu sagen haben, kann sich keiner anhören. Also eine richtige Einbahnstraße.
Jugendliche am Rande der Gesellschaft sind tendenziell anfällig für Populisten.
Krafeld: Ja, was auch daran liegt, dass die ärmeren Leute mit den neuen Herausforderungen, etwa durch die Flüchtlinge, viel mehr belastet werden als die Reichen. Eigentlich müsste es umgekehrt sein. Die Menschen in benachteiligten Stadtgebieten sollten für ihr Flüchtlingsengagement belohnt werden. Durch ein Schwimmbad, durch eine bessere Ausstattung von Schulen und Kindergärten. Diese Belohnungskultur wäre ein guter Ansatz, um der Attraktivität von Rechtspopulismus entgegenzuwirken.
Ihre Zukunft sehen viele Jugendliche unklarer als ihre Eltern in jungen Jahren. Etwas auszuprobieren und damit vielleicht Fehler zu machen, wird als großes Risiko erlebt.
Krafeld: Die Zukunft ist immer weniger planbar, gerade deswegen sollte man gelernt haben, Verschiedenes auszuprobieren. Junge Menschen brauchen Unterstützung und Begleitung durch Erwachsene auf ihren Wegen des Ausprobierens, auch wenn es sehr kurvenreiche Wege sind.
Sie haben den Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit entwickelt. Was kann man darunter verstehen?
Krafeld: Ich habe meinen Ansatz auf rechtsextreme Jugendliche bezogen. Jugendliche ändern ihr Verhalten nur dann, wenn es für sie Sinn hat, wenn sie sich selbst etwas davon versprechen, und nicht durch Belehrung. Die Jugendarbeiter müssen zuerst eine Beziehung aufbauen. Erst später ist dann eine Konfrontation mit anderen Meinungen möglich. Jede Arbeit mit Jugendlichen setzt voraus, sie so ernst zu nehmen, wie sie sind.
Ist das bei radikalmuslimischen Jugendlichen auch ein Weg?
Krafeld: Das sehe ich nicht. Die muslimischen Jugendlichen haben in Deutschland und Österreich sehr wenig Chancen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Das ist etwas, das wir rechtsextremen Jugendlichen anbieten konnten: Wenn ihr einen sozial verträglichen Umgang übt, dann habt ihr eine Chance, etwas aus eurem Leben zu machen. Das verweigert die Gesellschaft den muslimischen Jugendlichen. Da ist der Spielraum für Pädagogik sehr gering.
Was für Ansätze der Integration gibt es hier dennoch?
Krafeld: Wir dürfen nicht darauf warten, bis sich auf politischer Ebene irgendetwas formell ändert. Integration kann tatsächlich von unten geschehen. In der Nachbarschaft in der Schulklasse, manchmal auch in christlichen Kirchengemeinden, die muslimische Jugendliche miteinbeziehen. Da gibt es ganz viele Integrations- und Teilhabechancen. Nur wenn wir diese Ebene entwickeln, haben wir eine Chance, dass sich einmal irgendetwas – trotz FPÖ in Österreich – auf politischer Ebene ändert.
Wenn man Jugendliche begleitet, was ist Ziel dieser Arbeit?
Krafeld: Jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben und jeder hat ein Recht zu definieren, was ein gutes Leben ist. Aufgabe der Jugendarbeit ist, junge Menschen dabei zu begleiten und zu unterstützen. «
Zu Gast in Linz
Prof. em. Franz Josef Krafeld wird am 29. Jänner um 19 Uhr beim offenen Sozialstammtisch im Cardijn Haus in Linz zu Gast sein.
Am 30. Jänner gibt er in der Arbeiterkammer Linz bei einem Jugendforschungsseminar Impulse zum Thema „Junge Menschen am Rande der Gesellschaft“.