Die Debatte um das Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau scheint kein Ende zu nehmen. Enteignung, Abriss oder doch nur eine „tiefgreifende architektonische Umgestaltung“, wie es eine vom Innenminister eingesetzte Expertenkommission vorgeschlagen hat.
Ausgabe: 2016/44, Braunau, Hitler, Geburtshaus
31.10.2016 - René Laglstorfer
GastKommentar: René Laglstorfer
Der Entscheidung zur Enteignung ist ein jahrelanges Geplänkel zwischen der Eigentümerin von Hitlers Geburtshaus und dem Innenministerium vorangegangen. Spät, aber doch hat sich das offizielle Österreich zu dem drastischen Schritt durchgerungen. Die Frage, die bleibt: Was mit dem Haus tun? Der vom Innenminister befürwortete Abriss würde zwar das derzeit denkmalgeschützte Biedermeierhaus aus dem 17. Jahrhundert auslöschen, nicht aber die Symbolkraft, die dieser Ort besitzt. Steine aus dem Gebäude könnten, wie Reliquien, teuer gehandelt und der leere Platz von NS-Gesinnten missbraucht werden.
Irrtum der Experten. Der von den Experten vorgeschlagene Neu- oder Umbau, bei dem das Hitlerhaus ein völlig anderes Gesicht erhält, würde das Problem auch nicht lösen. Auch bei den Nutzungsvorschlägen liegt der Expertenrat nicht richtig: Ließe sich eine Entmystifizierung des Hitlerhauses mit möglichst gewöhnlichen Mietern bewerkstelligen, dann müsste das Gebäude, das in den vergangenen 70 Jahren eine Behindertenwerkstätte, Schule, Bank und öffentliche Bibliothek war, längst seinen Mythos verloren haben. Dies ist aber offenkundig nicht der Fall. Ein öffentliches Amt im Hitlerhaus beinhaltet das Risiko, dass einschlägige Touristen dort beginnen, nach dem Geburtszimmer zu suchen. Um das Ziel der Entstigmatisierung des Geburtshauses tatsächlich zu erreichen, braucht es eine aussagekräftige Umbenennung und Sinnstiftung. Ein „Haus der Verantwortung“, in dem junge Menschen aus aller Welt zusammenkommen, wie Historiker Andreas Maislinger seit 16 Jahren wirbt, ist zumindest eine Möglichkeit, einen Kontrapunkt zu Hitler zu setzen. Noch stärker könnte der neue Name inner- und außerhalb Österreichs wirken, wenn die Republik – die nach dem Krieg lange Zeit nur ihre Opfer-, nicht aber die Täterrolle von vielen Österreichern wahrhaben wollte – Verantwortung für die Opfer Hitlers auch an dessen Geburtsort übernimmt und dort ein Zeichen der Versöhnung setzt.
Zu den NS-Opfergruppen, die in einem derzeit mehr als 800 Quadratmeter großen „Haus der Verantwortung“ vertreten sein könnten, zählen Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, körperlich und geistig Beeinträchtigte, Militärdienstverweigerer sowie viele weitere in der NS-Zeit verfolgte Bevölkerungsgruppen. Eine bunte Mischung an NS-Opferinitiativen könnte tatsächlich eine Entzauberung des stigmatisierten Gebäudes bedeuten, das dann in aller Welt nicht mehr verächtlich Hitlerhaus genannt werden würde, sondern stolz „Haus der Verantwortung“ – ein Haus des Lebens, des Friedens und der Versöhnung.