Trotz der Wohlstandsgesellschaft in Oberösterreich leben Menschen auf der Straße. Ein Netzwerk kümmert sich darum, dass sie daran nicht zugrunde gehen. Auch in spiritueller Hinsicht.
Ausgabe: 2017/51
19.12.2017 - Christine Grüll
Claudia Stadlbauer steht auf dem Linzer Martin-Luther-Platz und liest aus einem ihrer Texte. Es ist dunkel und kalt. Trotzdem hören ihr Leute zu. Manche von ihnen sind obdachlos. Sie essen Maroni und applaudieren. Auf Einladung eines Obdachlosen-Netzwerks gestaltet Claudia Stadlbauer mit ihrer Lesung eine Adventfeier mit. Beeindruckend offen erzählt sie die Geschichte ihrer psychischen Erkrankung. Wie sie auf der Straße gelandet ist, was der Alkohol mit ihr gemacht hat. Als die Lesung zu Ende ist, bricht das Publikum in Richtung Kirche auf. Gleich beginnt der ökumenische Gottesdienst mit Bischof Manfred Scheuer. „Ich möchte, dass nicht vergessen wird, wie schnell man auf der Straße stehen kann“, sagt Claudia Stadlbauer vor der offenen Kirchentür. Sie hat sich nie unterkriegen lassen. Das Schreiben hat ihr schon als Kind geholfen. Heute lebt sie mit ihrem Mann Walter zusammen und schreibt für die Obdachlosenzeitung „Kupfermuckn“. Claudia Stadlbauer ist gern in der Redaktion: „Sie ist wie eine Familie.“
Nicht vergessen
Die Beziehung zwischen obdachlosen Menschen und jenen, die haupt- und ehrenamtlich für sie da sind, rettet Leben. Das hat nicht nur mit körperlichen Bedürfnissen zu tun. Manche wollen über ihren Glauben reden, empfinden aber Scham. Andere beschäftigen die letzten Dinge des Lebens, wenn es dem Ende zugeht. Theologen unter den Obdachlosen wälzen gern schwierige Fragen. Ansprache finden sie alle bei Helmut Eder. Der Seelsorger ist auch heute für die Adventfeier unterwegs. Er versteht sich als Teil eines starken Netzwerks. Für den 24. Dezember hat er ein Weihnachtsessen organisiert. „Die Obdachlosen freuen sich, dass der Bischof dabei ist“, sagt Helmut Eder – und dass ein öffentliches Lokal für sie aufsperrt. Auch das gibt ihnen die Gewissheit: Sie sind nicht vergessen.