„Kein gesellschaftlicher Konsens mehr über die Ehe“
Zum Teil sehr heftig haben Vertreter der römisch-katholischen Kirche die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kritisiert. Welche Auswirkungen hat das auf die Kirche? Ein Gespräch mit Generalvikar Severin Lederhilger.
Ausgabe: 2017/50
12.12.2017 - Interview: Heinz Niederleitner
Welche Auswirkungen die „Ehe für alle“ auf die Kirche hat, erklärt der Kirchenrechtler Severin Lederhilger.
Ändert sich durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zugunsten der staatlichen „Ehe für alle“ etwas für die kirchlichen Eheschließungen? Severin Lederhilger: Das theologische Selbstverständnis und die kirchenrechtliche Definition von Ehe können durch die Gesetzgebungen einzelner Staaten nicht verändert werden. Es ist aber künftig zu beachten, dass bei der Erläuterung des Ehesakramentes und in der Vorbereitung auf die kirchliche Trauung nicht mehr von einem gemeinsamen gesellschaftlichen Grundkonsens hinsichtlich Ehe und ihrer Wesenselemente ausgegangen werden kann.
Sind die Ereignisse nicht einfach nur eine weitere Entwicklung beim Auseinanderfallen von Ehe als Sakrament und als bürgerlicher Vertrag? Lederhilger: Der sakramentale Bund der Ehe von Mann und Frau wird in der röm.-kath. Rechtsordnung ebenso als institutionell vorgegebene, vertragliche Verpflichtung angesehen. Aufgrund der gemeinsamen Rechtstradition und des Öffentlichkeitscharakters von Ehe legt die Kirche bislang auch Wert auf eine zivilrechtliche Eheschließung. Es bleibt abzuwarten, welche Regelung der österreichische Gesetzgeber nun im Einzelnen aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes trifft, um seitens der Kirche festzustellen, inwieweit künftig noch allgemein von einer gleichartigen Verbindung und Begründung des Ehestandes gesprochen werden kann, wie dies eigentlich wünschenswert wäre.
Erwarten Sie Probleme für die Kirche durch die neue staatliche Rechtslage ab 1. Jänner 2019? Lederhilger: Weltweit sieht sich die Kirche mit sehr unterschiedlichen Formen staatlichen Eherechts konfrontiert. Natürlich stellt die Nivellierung einer zentralen Institution des Menschen dabei eine große Herausforderung für die wechselseitige Kommunikation dar. Sie zwingt aber vor allem zur inhaltlichen Beteiligung an der gesellschaftlichen Diskussion über mögliche weitere Umgestaltungsabsichten. Es kann zudem künftig nicht mehr einfach vom gleichen Bedeutungsgehalt staatlicher und kirchlicher Dokumente ausgegangen werden. Mehr noch als bisher kommt das rechtliche und pastorale Problem hinzu, dass im Blick auf Kinder die Normen über Verwandtschaft, Familienbeziehungen, Nachkommen- und Elternschaft nur noch erschwert anwendbar sind.