Die Kirchensprache ist aber auch so was von veraltet! Euch versteht keiner! Redet, wie man heute redet! Solche Ratschläge bekommen Kirchenleute oft zu hören. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2017/49
04.12.2017 - Matthäus Fellinger
„... du hast bei Gott Gnade gefunden“, sagt der Engel zu Maria, als sie über seinen Gruß erschrak. Am Marienfest, 8. Dezember, wird diese Begegnung aus dem Lukas-Evangelium vorgetragen.
„Gnade“, sagen manche, gehöre auch zu den gestrigen Wörtern. Kein Mensch könne es verstehen.
Kein Mensch konnte es je verstehen. Es ist zu groß. Deshalb darf das Wort nicht „entsorgt“ werden, wie man sich abgetragener Schuhe entledigt. Es gibt Begriffe, die sind so kostbar, dass jeder Ersatz billig wäre. Niemand würde einen plumpen Plastikring gegen echten Schmuck tauschen wollen.
„Gnade“ ist kein Wort zum Verstehen. Es benennt die Grundfeste des Lebens. Im Zustand der Gnadenlosigkeit könnte niemand leben. Menschen verdanken sich nicht ihrem eigenen Tun. Es geht um das Begreifen des Lebens als Wunder. Es schafft sich nicht selbst. „Liebe“ kommt dem Begriff nahe. Auch sie ist nicht da, um „verstanden“ zu werden. Man spürt sie – sie trägt.
Gnade. Liebe. Wunder. Wie Fremdwörter unserer Zeit stehen sie da – und sind doch Hoffnungsbegriffe. Sie befreien von der Angewiesenheit auf sich selbst. Sie machen das Leben groß.