Noch nie war es so leicht, Fakten zu klären. Man googelt einfach. Aber mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung sind neue Probleme gekommen. Vor allem: Wer weiß, was stimmt?
Ausgabe: 2017/47
21.11.2017 - Matthäus Fellinger
Äcker und Hämmer, wie sie die Bundeshymne besingt, sind es nicht mehr, die ein Land „zukunftsreich“ machen. Eher sind es die Daten. Viele Milliarden Daten sind es, mit denen man heute Erfolge sichert. Daten sind das Kapital der Zukunft. „Datenreichtum“ sei ausschlaggebender als der Finanzreichtum, meinen der Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger und der Journalist Thomas Ramge in ihrem Buch „Das Digital“. Systeme von Google oder Amazon sammeln ununterbrochen Daten. So wissen sie immer besser über die Interessen, Vorlieben und über das zu erwartende Verhalten der Nutzer Bescheid. Ihr Kaufverhalten interessiert sie vor allem.
Überlegene Computer
Im Schach sind Computer schon seit 15 Jahren selbst den Weltmeistern überlegen. Auch beim Pokern hat der Mensch gegen die Maschine keine Chance mehr, meinen die Autoren. Computer kombinieren besser, sie „schwindeln“ auch erfolgreicher. Es ist die ungeheuer große Datenmenge, die sie überlegen macht. Computer sind eiskalte Rechner. „Amazon weiß nicht, warum wir ein Produkt einem anderen vorziehen. Das System berücksichtigt nur, dass wir es tun. Doch das genügt ... um jene Produkte aufzuspüren, die wir am ehesten ... kaufen werden.“ Der Mensch erscheint ausgekundschaftet, sein Verhalten berechenbar. Die Digitalisierung betrifft nicht nur Wirtschaft, Arbeitswelt, Verkehr und Finanzwesen. Denken und Glauben sind mit berührt. Die Katholische Universität Linz lud am 16. November zum „Dies Academicus“ ein, um über die Auswirkungen der sozialen Medien vor allem auf das politische Denken und Verhalten nachzudenken.
Was stimmt?
„Die Menschen wissen nicht mehr, was stimmt“, bringt der Münchener Sozialethiker Alexander Filipovic, das Problem auf den Punkt. Wie Amazon das Kaufverhalten berechnet, geschieht es auch im Meinungsbereich: Menschen bekommen gezielt nur jene Inhalte geliefert, die in ihr Weltbild passen. „Filterblasen“ nennen die Fachleute das. Und das führt zu einer „fundamentalen Wahrheitskrise“, meint Filipovi´c, es begünstigt Populismus und behindert demokratische Prozesse. Die Wahrheitssuche sieht er durch die Digitalisierung bedroht. Wie können Menschen in dem Gemisch aus inszenierten Spektakeln, absichtlich gestreuten Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Verhetzungen Orientierungshilfen bekommen? Chris Tedjasukmana (Berlin) erzählte von „Gerüchtebomben“, die bewusst gesetzt werden, um von anderen Dingen abzulenken.
Digitale Bildung
Es braucht daher „digitale Bildung“. Er meint damit jedoch nicht, dass man jedem Kind möglichst schnell ein Tablet zur Verfügung zu stellen müsste, damit es das digitale „Handwerk“ lernt. Es geht viel mehr um den Umgang mit den Mechanismen und Inhalten der digitalen Welt – auch um die nötige Skepsis und um Verzicht. Die Oma mit 70 muss nicht in den sozialen Medien kommunizieren, sagt Tedjasukmana. Aber wenn sie es tut, sollte sie über einiges Bescheid wissen, damit sie nicht in die Fallen tappt. Im Grund, meint Filipovic, müssen die Menschen heute selber leisten, was Journalisten getan haben. Prüfen, recherchieren, kritisch befragen. Nicht alles für bare Münze nehmen. Und: Seriösen Medien sollten sie durchaus mehr Vertrauen entgegenbringen. Das digitale Zeitalter ist sehr jung. „Es ist noch nicht gesagt, wie erfolgreich es letztlich sein wird“, meint Tedjasukmana. Sicher ist er sich: Die digitale Revolution braucht eine politische Revolution. Eine, in der Menschen leidenschaftlich handeln für eine neue Ordnung. Es braucht ein „öffentliches Streiten“ – zugunsten der Wahrheit. Und: Man wird auch Hämmer und Äcker brauchen. Das Brot und die Dinge müssen hergestellt werden. «
- Sommerakademie 2018. Mit den Phänomenen der Digitalisierung beschäftigt sich die Ökumenische Sommerakademie im Stift Kremsmünster von 11. bis 13. Juli 2018.
- Buch: Viktor Mayer-Schönberger, Thomas Ramge. Das Digital. Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus, Econ Verlag 2017.