Die Wahl ist geschlagen, eine Koalition wird gesucht: Abseits machtpolitischen Geplänkels bestünde jetzt die Möglichkeit, sich Zukunftsthemen zu widmen, zum Beispiel der Generationengerechtigkeit. Schon längere Zeit mahnt Kardinal Christoph Schönborn: Für die nächste Generation werde es wohl schwieriger sein, einen vergleichbaren Lebensstandard zu halten; umso mehr seien Solidarität und Ehrlichkeit gefragt.
17.10.2017
Max H. ist Mitte 30 und verheiratet. Er hat zwei gesunde Kinder, einen guten Job – und macht sich Gedanken. Die Wirtschaftskrise hat sein Vertrauen in eine stabile Wirtschaftsentwicklung schwinden lassen. Irgendwann werden seine Kinder einen Job brauchen. Werden sie einen finden? Noch vor ein paar Jahren war Max zuversichtlich, dass es eine Trendwende beim Klima- und Umweltschutz geben könnte. Heute ist er eher pessimistisch. Auch ob er einmal eine Alterspension haben wird, von der er leben kann, ist für ihn eine offene Frage. Max’ Vater ist vor kurzem in Pension gegangen. Er hat sein Leben lang hart gearbeitet und Max gönnt ihm den Ruhestand von Herzen. Aber er macht sich auch hier Gedanken: Der Vater hatte zwar eine bescheidene Nachkriegskindheit, aber dann kamen wirtschaftliche Wachstumsjahre. Menschen bekamen Chancen. Als das Wirtschaftswachstum abflaute, gab es einen starken Sozialstaat. Trotz aller Unwägbarkeiten hat der Vater eine Pension, von der er gut leben kann. Max fragt sich: Ist der Vergleich der Lebensumstände überhaupt gerecht? Haben die Unterschiede Konfliktpotential?
Keine Revolution
An einen offenen Generationen-Konflikt wie in den 1960er und 1970er Jahren glaubt Beate Großegger vom Institut für Jugendkulturforschung nicht. „Die Jungen denken über die Lebensumstände älterer Generationen wenig nach, sondern konzentrieren sich auf die Gesellschaft der Altersgleichen“, sagt sie. Beide Generationen würden die Welt jeweils nur aus ihrer eigenen Sicht wahrnehmen: Die 55- bis 65-Jährigen seien zum Beispiel noch sehr stark von dem Versprechen geprägt, dass ein formaler Bildungsabschluss ein Garant für einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz ist. Die Jungen würden dagegen einen von Flexibilisierung und Mobilisierung geprägten Arbeitsmarkt erleben, auf dem sich auch manche Akademiker schwertun, einen Job zu finden. Tatsächlich stieg die Jugendarbeitslosigkeit an (siehe Kasten rechts).
Politik?
Wer aber glaubt, die Jugend würde den politischen Kräften die Türen mit Forderungen einrennen, der irrt: „Junge Menschen sind in ihrem Alltag sehr stark gefordert, sie haben das Gefühl, sich dem alltäglichen Wettbewerb in Schule und Beruf stellen zu müssen, um ihre persönlichen Zukunftschancen abzusichern“, sagt Jugendforscherin Großegger. Für ein stärkeres Engagement in der politischen Diskussion fehle Zeit und Energie. „Was sich aber abzeichnet, ist, dass es zu Entsolidarisierungsprozessen kommt: in vielen Bereichen des sozialen Lebens und auch in Bezug Generationensolidarität. Das ist meiner Ansicht nach eine logische Konsequenz dessen, dass heute alles in Richtung ‚eigene Chancen und Interessen absichern‘ geht. Es ist aber mindestens ebenso sehr auch Konsequenz einer für Jung und Alt wenig greifbaren Generationenpolitik.“ Die Migrationsforscherin Gudrun Biffl, die am „Bericht zur Lage der Jugend in Österreich“ federführend mitgewirkt hat, erklärt, warum politisch wenig passiert: „Die Jugendjahrgänge haben zwar eine enorme Bedeutung für unsere Wirtschaftsentwicklung und unseren Wohlstand. Aber weil sie deutlich dünner besetzt sind als die Jahrgänge um 1963, schenkt die Politik der jungen Generation wenig Aufmerksamkeit“, sagt Biffl, die als Professorin an der Donau-Universität Krems lehrte (Zahlen dazu im Kasten rechts). „Es müsste bei uns Thema sein, welche Rolle die Jugend einnehmen wird müssen, um den Wohlstand zu erhalten, den die ältere Generation geschaffen hat“, fährt Biffl fort. Diese Rolle habe nicht unbedingt etwas mit der Anzahl zu tun, sondern mit der Produktiv- und Innovationskraft. „Die Bildungsentwicklung war in Österreich ja nicht besonders erfolgreich“, sagt die Migrationsforscherin, auch – aber nicht nur – in Hinblick auf die Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien: „Jugendliche mit Migrationshintergrund haben nicht unbedingt jene Förderung von Österreich bekommen, die sie gebraucht hätten.“ Wer sich künftig in der globalen Wirtschaft behaupten wolle, müsse innovativ sein.
Abwanderung?
Dass es keinen großen Aufstand der Jugend geben werde, hat für Gudrun Biffl auch damit zu tun, dass die Menschen eher „mit den Füßen abstimmen“, sich also einen neuen Lebensmittelpunkt suchen: „Das werden jene Menschen sein, die sich gute Chancen anderswo ausrechnen“, sagt sie. Durch eine jugendorientierte Politik könne man hier gegensteuern. „Aber derzeit sieht es nicht so aus, als ob es dazu kommt.“
Verzicht
Der Moraltheologe Michael Rosenberger von der Katholischen Privatuniversität Linz sieht die Frage der materiellen Zukunft aus einem anderen Blickwinkel. Geplanter und gewollter Verzicht sind positiv besetzt, wenn er sagt, es sei ein „ethisches Gebot“, dass sich die Menschen in den Industrieländern materiell einschränken. „Wir leben ja heute schon auf Kosten der ärmeren Länder. Durch die übermäßige Nutzung der Ressourcen der Erde und durch den Ausstoß von Treibhausgasen leben wir auch auf Kosten künftiger Generationen“, sagt Rosenberger. Er sieht darin, den Lebensstandard etwas zurückzufahren, eine Chance: „Das könnte einen Zeitwohlstand anstelle eines Güterreichtums bringen.“ In der Altersvorsorge hält der Theologe den Generationenvertrag (siehe Kasten) für richtig: Das Grundprinzip, dass die Erwerbstätigen für Kinder und Ältere sorgen, sei urmenschlich und entspreche auch dem biblischen Gebot, Vater und Mutter zu ehren. Man könne auch nicht sagen, dass es ungerecht sei, wenn eine Generation in entsprechend sicheren Zeiten scheinbar mehr vom Generationenvertrag habe: „Es macht keinen Sinn, einen Gerechtigkeitsvergleich zwischen heute und der Zeit vor dreißig Jahren anzustellen: Es gibt da viel zu viele Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich vielmehr zwischen der älteren und der jungen Generation heute. Die Fragen müssten lauten: Ist es gerecht, was die Jungen heute in das System zahlen und was die Älteren heute herausbekommen?“, sagt Rosenberger. Da die Verhältnisse zwischen den Generationen auf 10 bis 20 Jahre vorhersagbar seien, müsse die Politik für diesen Zeitraum die Weichen so stellen, dass das System absehbar funktioniere. Darüber hinaus sei das nicht möglich.
Rechte
Für den Moraltheologen hat die Frage der Generationengerechtigkeit auch eine spirituelle Seite: „Wir müssen lernen, es anzunehmen, dass Generationen unter verschiedenen Umständen leben. Was konnten die Menschen, die vor 200 Jahren gelebt haben, dafür, dass sie nicht dieselben medizinischen Möglichkeiten hatten wie wir? Heute haben viele Menschen das Gefühl, sie hätten auf alles ein ‚Recht‘. Das stimmt aber nicht. Der Glaube kann hier eine Antwort geben: Wir sind von Gott in diese Zeit hineingestellt. Es ist unsere Aufgabe, mit den Grenzen zurechtzukommen und das Leben mitzugestalten.“ «