Zeit ist es, Felder zu pflügen. Einmal im Jahr. Keinesfalls immer, denn würde ständig das Untere nach oben gekehrt, es könnte nichts wachsen. Ein Leitartikel von Matthäus Fellinger.
Ausgabe: 2017/41
10.10.2017 - Matthäus Fellinger
In der Landwirtschaft leuchtet das ein. Pflügen genügt nicht. Säen muss man, hegen, pflegen – und dem Wachsen Zeit gewähren.
Man darf es sich auch für die anderen Lebensfeldern zu Herzen nehmen. Es genügt nicht, den Boden des Zusammenlebens ständig nur aufzureißen. Im Umgang miteinander sind Menschen oft und zu lange mit dem groben Pflug unterwegs, gnadenlos für jedes Gräslein, das nicht in die Reihe passt. Doch wo der Pflug das einzige Werkzeug der Bodenberarbeitung bleibt, gedeiht nichts. Es braucht auch die Sämaschine – vor allem diese, denn Saat muss in die Erde kommen.
Der kritische Blick für das Unzulängliche, selbst für das Skandalöse, allein bringt noch nicht weiter. Eine Gesellschaft, die sich im Aufdecken und Anprangern alles Fehlerhaften und Unvollkommenen erschöpft, ist arm. Vom Aufzeigen und Vermeiden des Bösen allein wird noch lange nichts gut. Es wäre, als ob ein Landwirt sich auf die Unkrautvernichtung beschränkte – doch auf das Säen und Düngen vergäße. Nichts würde er ernten.
Etwas gnädiger mit dem Unvollkommenen müsste man sein, und Zeit schenken – zum Gutwerden. Zum Wachsen.