Was den Glauben und das Leben von Christ/innen ausmacht – die vier Säulen des Christentums, Teil 5
Ausgabe: 2008/43, Gebet, Kraft des Gebetes, Glauben, Prälat Dr. Hans Fink, Das Gebet, Gebetspraxis, Apostelgeschichte, Urgemeinde, betende Gemeinde, Lehre der Apostel, Gebetsschule
22.10.2008 - Prälat Dr. Hans Fink
Nach der „Lehre der Apostel“, der „Gemeinschaft“ und dem „Brotbrechen“ nennt Lukas als vierte Säule das Gebet.
Betende Gemeinde. Wörtlich spricht Lukas in der Mehrzahl vom „Verharren in den Gebeten“. Das könnte ein Hinweis sein auf bestimmte, festgesetzte Gebetszeiten, etwa in Verbindung mit dem Morgen- und Abendgebet, wie es im Tempel verrichtet wurde. Dass die Jerusalemer Gläubigen „Tag für Tag einmütig im Tempel im Gebet verharrten“ (Apg 2, 46), berichtet Lukas eigens. Bereits am Beginn der Apostelgeschichte zeigt er eine kleine, betende Gemeinde: Die Apostel „verharrten einmütig im Gebet mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1, 14).
Die Gebetspraxis Jesu. Zu den grundlegenden Vollzügen jeder Religion gehört das Gebet. Es ist wieder Lukas, der mehr als die anderen Evangelisten Jesus als Betenden zeigt. Jesus ist nicht nur Lehrer des Betens, sondern auch Vorbild des Betens. Großen Entscheidungen geht vorbereitendes Gebet voraus: betend empfängt er die Taufe (Lk 3, 21), betend wird er verklärt (Lk 9, 28–30). Immer wieder zieht er sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten (z. B. Lk 5, 16). Vor der Berufung der Apostel verbringt Jesus eine ganze Nacht im Gebet (Lk 6, 12). Er betet in seiner Todesangst (Lk 22, 39–46), am Kreuz betet er für seine Feinde (Lk 23, 34) und betend stirbt er (Lk 23, 46). Das Lukasevangelium enthält im Kapitel 11, 1–13 sogar eine kurze Gebetsschule.
Praxis der Urgemeinde. Wenn es zu den Aufgaben der christlichen Gemeinde aller Größen auch gehört, Jesu Lebenspraxis und Evangelium präsent zu halten, damit ihm Menschen begegnen können, kann die Praxis des Betens nicht fehlen. Wenn die Urgemeinde in Jerusalem zunächst ganz selbstverständlich an der jüdischen Gebetspraxis festhält (Apg 2, 46), so entstanden bald auch eigene Gebete, wie es wiederum Lukas zeigt: Das Magnifikat, der große Lobpreis Marias (Lk 1, 46–55), das Benediktus, der Lobgesang des Zacharias (Lk 1, 68–79) und das Nunc dimittis, das Gebet des greisen Simeon (Lk 2, 29–32).
Ein bleibendes Leitbild
So wie Lukas in der Apostelgeschichte die Urgemeinde in Jerusalem schildert, ist und bleibt sie als „Kirche des Anfangs“ Leitbild der Kirche. Dabei ist aber auch festzuhalten, dass das Bild, das Lukas zeichnet, ein Ideal darstellt, das zwar verbindlich vorgegeben ist, dessen Verwirklichung aber Stückwerk bleibt. Davon berichtet schon Lukas selbst.
Ziel und Maß.Schon in den neutestamentlichen Schriften bezeichnet Ekklesia/Kirche die Gottesdienstgemeinde, die Kirche vor Ort (z. B. in Korinth) oder die gesamte Kirche. Die „Vier Säulen des Christentums“ sind Zielvorgabe für jede christliche Gemeinschaft: Sie gelten für eine Pfarrgemeinde, eine Diözese, für eine klösterliche Gemeinschaft, eine Personalgemeinde (z. B. Hochschulgemeinde) wie für die Gesamtkirche. Die Zielvorgabe ist auch ein Maßstab, der zur momentanen Standortbestimmung verwendet werden kann.
Du bist gemeint. Da jede christliche Gemeinschaft sich aus einzelnen Christen und Christinnen zusammensetzt, hängt von ihnen ab, wie weit eine solche Gemeinschaft dem Leitbild entspricht. Das aber heißt zum Schluss: Die Vier Säulen oder Kennzeichen der Urgemeinde sind auch Ziel und Maßstab für das persönliche Christsein.