Spannend wie Dan Browns Thriller – nur eben realistischer, lebensnäher, wichtiger. Besser eben! – Eine Leseempfehlung (1)
Ausgabe: 2008/36, Dan Brown, Maria, Magdalenerin, Leseempfehlung, San Nazaro, Christoph Wrembek, Marta, Lazarus, Exerzitien,
03.09.2008 - Walter Buder, Redaktion
Sie ist – neben der Mutter Jesu – die herausragende Frauengestalt im Zweiten Testament, in den Ostererzählungen spielt sie eine zentrale Rolle: Maria aus der Stadt Magdala. Johannes, der Evangelist, schildert eine der berührendsten biblischen Szenen, als der auferstandene Jesus – sie hält ihn für den Gärtner – auf sie zukommt und sie anspricht: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Markus verewigt sie als jene, aus der Jesus „sieben Dämonen ausgetrieben“ hatte. Diese Frau aus der Stadt Magdala, eine geheilte „Besessene“ mit einer speziellen Beziehung zu Jesus? Die „Büßerin“ und namenlose „Sünderin“ (obwohl sie an keiner Stelle in den Evangelien so bezeichnet wird) und die Schwester der Marta und des Lazarus – sind das drei Frauen, wie die Aufklärung behauptete, oder eine – wie P. Wrembek mit exegetischen Methoden wissenschaftlich nachweist?
Das ist der Stoff. Die biblischen Geschichten um die „so genannte Magdalenerin“ und was es im Laufe der Jahrhunderte an Legenden, Viten, richtigen und irrigen Forschungsergebnissen, sinnreichen und sinnlosen Deutungen gegeben hat. Der Exerzitienmeister P. Wrembek in der Schule des Ignatius von Loyola kennt die Wege der Seele, weiß um die so oft brach liegende Kraft der Vorstellung und er ist ein wunderbarer Erzähler. Die Exkurse, der systematische Aufbau, die Wahl der sprachlichen Ebene, das theologische Niveau – das alles ist kompakte, kräftige Nahrung für zeitgeistig motivierten Hunger und Durst nach Klarheit in Glauben, Religion und Spiritualität.
Spürbar ab der ersten Zeile. Wrembek gibt zu: Er verehrt diese Frau, ihr unerforschbares Geheimnis ebenso wie die vielen erforschbaren Details. Der variantenreiche biblische Bilder-Mix „Sünderin/Büßerin“ wird sprachlich, technisch, archäologisch, exegetisch, theo- und soziologisch bearbeitet. Er zeigt, dass er nur funktioniert, wenn die Maria aus Magdala mit jener Frau identifiziert wird, von der Lukas (7, 36 ff.) erzählt, dass sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechenden Öls bei Simon dem Pharisäer auftaucht, um Jesus die Füße zu salben. „Dabei weinte sie, (...) trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ Für P. Wrembek wird klar: Maria aus Magdala, die „Sünderin“ und Maria, die Schwester von Marta und Lazarus in Bethanien (denn auch sie salbte Jesus mit kostbarem Nardenöl) sind ein und dieselbe Person. Die Szene mit der „Sünderin“ habe sich mit hoher Gewissheit in Magdala/Tarichea, einer römisch-hellenistisch geprägten Stadt am See Gennesaret, abgespielt. Er studiert die sozialen Verhältnisse und zeichnet die Züge einer erfolgreichen Geschäftsfrau – für thoratreue Juden zu dieser Zeit durchaus eine „Sünderin“.
Spurensuche. Dennoch, so ungezwungen sie Jesus die Füße salbe, folgert Wrembek, könne das nur eine Frau mit viel Erfahrung im „Umgang mit dem Körper“ sein, dem eigenen wie dem fremden. Und so schließt er aus den Daten und Fakten: Die „so genannte Magdalenerin“ sei als Hetäre zu Vermögen gekommen, habe sich von diesem Leben losgesagt und in der Begegnung mit Jesus – als sie ihm die Füße salbt – „innerlich aufgewühlt“ auf den langen Heilungsweg des Glaubens eingelassen. Jesus aber sagt in dieser Szene zum Gastgeber dieses Wort: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat“ – und gibt so dem Bild des bedingungslos liebenden Gottes Ausdruck. Die vielen aufschlussreichen Details aus jüdischen, römischen und hellenistischen Lebens- und Glaubensvorstellungen machen das Verhalten, Denken und die Reaktionen der Menschen anschaulich. Wrembek geht wie ein Kriminalist jeder Spur nach, gräbt tiefer, wo andere Exegeten (die er ausführlich zitiert) längst aufhören, zieht überraschende Schlüsse, greift in Exkursen weit aus.
Tatkräftig. Nicht zur Freude aller! Maria von Magdala gehört zu den ersten Frauen, die Jesus nachfolgten; ihr begegnet der Auferstandene als Erster. Sie hatte das Sagen im „Organisationsstab der Jesusbewegung“, einer Gruppe selbstbewusster vermögender Frauen. Die Magdalenerin leitete dieses „starke Team“ und – Wrembek macht deutlich – weder zur Freude der Evangelisten, noch der Apostel, noch der Männer. Wrembeks Buch zu lesen ist ein Erlebnis; für Kopf und Herz. Zwischen Wissenschaftskrimi und geistlichem Abenteuer angesiedelt ist es eine packende 533-Seiten-Übung im kritischen Denken, genauen Schauen, präzisen Hinhören, Deuten und Lesen. Spannend wie Dan Browns Thriller – nur eben realistischer, lebensnäher, wichtiger. Besser eben! Also: Nicht versäumen!
- Christoph Wrembek: Die sogenannte Magdalenerin. Maria Magdalena – die namenlose Sünderin und die Schwester der Marta und des Lazarus. Benno Verlag, Leipzig 2008. 533 Seiten, 24,50 Euro.