Ein Ziel der Ökumene ist es, die zerbrochene Gemeinschaft unter Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen ist, wiederherzustellen. Aus der Serie "Zum Stand des ökumenischen Dialoges, Teil 4 von 4.
Ausgabe: 2016/41
11.10.2016 - Prof. Dr. Wolfgang Thönissen
Die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche hat innerhalb der ökumenischen Bewegung einen hohen Stellenwert. Seit einigen Jahren streben evangelische Kirchen auf europäischer Ebene unter dem Stichwort „Leuenberger Kirchengemeinschaft“ eine engere Gemeinschaft untereinander an. Zielrichtung dieses Konzeptes von Kirchengemeinschaft ist die Wiederherstellung der zerbrochenen Gemeinschaft unter Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen ist. Für die Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft erforderlich erscheint den an dieser Konkordie beteiligten lutherischen, reformierten, unierten und methodistischen Kirchen die zu gewinnende Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums. Diese schließt Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft ein.
Gemeinschaft mit allen Christen
Für die katholische Kirche hat das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche zu einer herausragenden Aufgabe bestimmt. Freilich hat das Konzil kein Konzept zur Wiederherstellung der zerbrochenen Gemeinschaft zwischen bisher getrennten Kirchen vorgelegt. Das Konzil unterscheidet zwei Formen von Spaltungen, einmal im Blick auf die von Rom getrennten orthodoxen Kirchen, dann im Blick auf die evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Abendland. Im Blick auf die getrennten Ostkirchen sprach das Konzil ausdrücklich von der erwünschten Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft. Das Konzil spricht aber auch von einer Gemeinschaft mit den Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften. Hier hat der ökumenische Dialog zu einer gewissen Klärung beigetragen. Kirchengemeinschaft entfaltet sich im gemeinsamen Bekenntnis des einen apostolischen Glaubens, in der sakramentalen Gemeinschaft und in der Wort und Sakrament zugeordneten Gemeinschaft im kirchlichen Amt, einschließlich des Papstamtes.
Auf dem Weg
Ist eine grundsätzliche Einigung unter den noch getrennten Kirchen über den Weg zu einer vollen Kirchengemeinschaft möglich? Auf diese Frage weiß heute niemand eine abschließende Antwort. Doch der ökumenische Dialog hat zu einem hohen Maß an Verständigung in schwierigen theologischen Fragen geführt. In der Rechtfertigungsfrage, der bedeutendsten Frage der Reformation, konnte eine grundlegende Übereinstimmung erzielt werden. Verständigen konnten sich evangelische und katholische Kirche über Fragen der Sakramente. In der Amtsfrage gibt es Annäherungen. In der Papstfrage gibt keine gegenseitigen Verurteilungen mehr. Reicht das aus, um gemeinsam Eucharistie zu feiern? Auch wenn diese Frage gegenwärtig noch nicht mit einem klaren Ja beantwortet werden kann, sind Christen heute schon in einer Gemeinschaft untereinander verbunden. Solche Formen von wachsender Gemeinschaft existieren bereits: das gemeinsame Lesen der Heiligen Schrift, die gegenseitige Anerkennung der Taufe, das gemeinsame Glaubensbekenntnis, das gemeinsame Gebet und die gemeinsame Feier des Wortes Gottes, das gemeinsame Zeugnis der Christen in der Welt, etwa in der Flüchtlingsfrage, in Fragen der Menschenrechte und der Religionsfreiheit. Christen sind auf dem Weg in die volle Gemeinschaft untereinander.