Die Welt der Ikonen – Ein Gespräch mit Erzpriester Chrysostomos
Ausgabe: 2008/13
26.03.2008 - Interview: Hans Baumgartner
Da Gott auf Ikonen nicht dargestellt werden darf, gelten die drei „Gäste“ Abrahams als Sinnbild der Dreifaltigkeit.
Die orthodoxe Bilderwelt der Ikonen findet auch immer mehr Fans im Westen. Das hat etwas mit der Suche nach dem Spirituellen, dem Religiösen zu tun. Es ist aber auch eine „Modewelle“, meint der russisch-orthodoxe Erzpriester und Ikonenmaler Chrysostomos Pijnenburg.
Ausstellungen mit Ikonen oder Kurse für Ikonenmalerei erleben derzeit im Westen einen Boom. Wie erklären Sie sich das?
Pijnenburg: Das hat einerseits sicher etwas zu tun mit der Suche nach Religiösem – oft außerhalb oder am Rande der traditionellen kirchlichen Bindungen. Und da fasziniert die Menschen im Westen, die ja fast manisch nach immer etwas Neuem, anderem suchen, die für sie fremde Welt der Ikonen. Ich denke, dass der Ikonen-Boom auch ein stückweit eine dieser westlichen „Modewellen“ ist. Es hat wahrscheinlich aber auch damit zu tun, dass im Westen das religiöse Bild, das mich durch seine Darstellung zu dem/der hinführt, mit dem/der ich mich im Gebet verbinde, weitgehend fehlt. Abstrakte Darstellungen sind dafür kaum geeignet.
Sie sagen, dass Ikonen für viele Menschen im Westen eine fremde Welt sind. Warum ist das so?
Pijnenburg: Das hat etwas mit dem grundsätzlich unterschiedlichen Bildverständnis in den Kirchen des Westens und Ostens zu tun. In den westlichen Kirchen sind die Bilder, Fresken oder Glasfenster ein Schmuck zur Ehre Gottes und zur Anregung der Gläubigen. Eine Ikone ist das genau nicht, Schmuck. Sie ist das Sichtbarwerden des Göttlichen in dieser Welt, in ihr ist die Person, die dargestellt wird, anwesend. Deshalb wäre es für uns ganz unverständlich, in der Fastenzeit Bilder zu verhängen, wie das in vielen katholischen Kirchen geschieht. Man kann doch nicht die Realität Gottes, die in den Ikonen gegenwärtig ist, zudecken. Wenn Bilder nur Schmuck sind, macht das Zudecken freilich Sinn.
Was bedeutet eine Ikone für einen orthodoxen Christen konkret?
Pijnenburg: Weil sie für ihn ein Ort des Heiligen in dieser Welt ist, würde sich ein praktizierender orthodoxer Christ eine Ikone nie als frommen Hausschmuck aufhängen. Sie ist für ihn die Gegenwart des Göttlichen in seinem Leben und daher der Ort, wo er betet.
Was bedeutet das für Sie als Ikonenmaler?
Pijnenburg: Weil uns in der Ikone Christus oder der/die Heilige selbst begegnet, ist sie mehr als eine aus der menschlichen Phantasie geborene Darstellung. Ich verstehe mich daher auch nicht als Maler, der aus der eigenen Kreativität etwas Neues schafft, sondern als Handwerker. Wenn ich ein Bild male, so ist das nicht meine künstlerische (Neu-)Schöpfung, so wie im Westen Kunst gesehen wird. Eine Ikone ist für mich der Ausdruck meiner christlichen Existenz, in der ich mich selbst und die Schöpfung Gottes zu heiligen versuche. Als Maler sehe ich mich als Diener der Kirche, die den Auftrag hat, die Welt zu heiligen. Und deshalb ist es mir wichtig, so gut ich es kann, Bilder zu schaffen, die unsere Theologie und Spiritualität zum Ausdruck bringen.
Ist es diese Einstellung, die dazu führt, dass man den Eindruck gewinnt, die Ikonenmalerei unterliegt einer sehr starren Tradition?
Pijnenburg: Ikonenmalerei ist überhaupt nicht starr. Ich pause ja nicht alte Vorlagen einfach ab. Aber es ist eine andere Dynamik, die sich der westlichen Mentalität mit ihrem ständigen Streben nach Neuem – ob in der Kunst, in der Mode oder auch in der Liturgie und Theologie – nur schwer erschließt. Es ist eine Dynamik, die in die Tiefe geht. Es ist richtig, dass es für die Ikonenmalerei seit dem ersten Jahrtausend klare Regeln gibt. Und doch wird jedes Bild, das ich male, anders, weil es davon abhängt, wieweit es mir gelingt, handwerklich und geistig-spirituell dem Darzustellenden gerecht zu werden.
Was heißt das konkret, wenn Sie sagen, Malen ist für Sie auch ein spiritueller Vorgang?
Pijnenburg: Malen ist für mich Gebet. Das bedeutet zunächst, dass ich mich dem Göttlichen unterordne. Das ganze Leben des Christen besteht aus dieser Unterordnung. Das ist etwas, was man in dem sosehr in die eigene Freiheit verliebten Westen nicht gerne hört. Aber wenn wir auf Christus schauen, dann hat er sich stets nach dem Willen des Vaters ausgerichtet. Das Einhalten bestimmter Formen in der Malerei oder im Gottesdienst ist ein Akt dieses Unterordnens unter das Göttliche. Ich kann ja auch das „Vaterunser“ nicht verändern. Ist das Gebet des Herrn deshalb ein starres Korsett? Nein. Und hier kommt für mich das zweite Element des Betens ins Spiel: Indem ich das Gebet immer wieder bete, Wort für Wort, Satz für Satz, ein ganzes Leben lang, werde ich seinen Sinn immer tiefer erfassen lernen und ich werde so immer mehr eins mit dem Beten unseres Herrn.
Sie haben schon einige Male die Regeln des Malens angesprochen. Wann ist ein Bild eine Ikone?
Pijnenburg: Eine Ikone im „strengen Sinn“ ist ein in der byzantinischen Tradition gemaltes Bild im Auftrag der Kirche, die festlegt, was darauf zu sein hat und wie das darzustellen ist. Dafür gibt es klare Regeln, die von den Konzilien in Nicäa (787) und Konstantinopel (849) festgelegt wurden. Dazu gehört auch, dass in Befolgung des alttestamentlichen Bilderverbotes, Gott selber nicht dargestellt werden darf, wohl aber Christus, in dem Gottheit und Menschheit untrennbar vereint sind.
ZUR PERSON
Der „Russe“ aus Holland
Chrysostomos Pijnenburg wurde 1946 in Groningen in den Niederlanden geboren. Schon als 12-Jähriger hat er begonnen, sich für Ikonen zu interessieren. „Ich habe damals meine ersten Ikonen, oder besser, was ich dafür gehalten habe, gemalt“, erzählt Pijnenburg. Mit 18 Jahren lernte er die Frau des orthodoxen Erzpriesters von Groningen kennen, die ihn als Malschüler unter ihre Fittiche nahm. Mit 21 ist er mit einer Gruppe von Jugendlichen zur orthodoxen Kirche übergetreten. „In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanum wurde in der katholischen Kirche in Holland so viel verändert. Das war nicht mehr die Kirche, wie ich sie schätzen gelernt und auch von zu Hause mitbekommen habe. Da war mir die orthodoxe Kirche, die ich durch das Malen kennen gelernt habe – auch ihre Liturgie und Spiritualität – viel eher ein Zuhause.“
Nach Wien. Pijnenburg ging dann nach Deutschland, wo er über Vermittlung von Erzbischof Filaret bei verschiedenen Priestern Theologie zu studieren begann. In Westeuropa gab es damals keine geeignete Ausbildungsstätte für orthodoxe Theologie, und in den kommunistischen Osten zu gehen, war zu gefährlich. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Pijnenburg als Altenpfleger und auch schon als Ikonenmaler. 1975 wurde er von Erzbischof Irinej in der Wiener Nikolauskirche zum Priester geweiht. Seit 1977 wirkt er als Seelsorger in Wien. Gehalt bekommt er dafür, wie seine drei Priesterkollegen an der Nikolauskirche, keines. Sein Einkommen verdient sich Erzpriester (seit 1983) Chrysostomos Pijnenburg als europaweit gefragter Ikonenmaler und Leiter von Malkursen.
Der nächste Malkurs von Vater Chrysostomos findet im Kloster Marienstern-Gwiggen (Vorarlberg) vom 7. bis 17. April statt. In der Kirchenzeitung beginnt er mit dieser Nummer eine Reihe über Ikonen.
ZUR SACHE
Russische Kirche
Bereits unter Zar Peter I. (1672 bis 1725) gab es Bemühungen, für die russischen Diplomaten, Händler und Handwerker in Wien eine orthodoxe Gemeinde zu gründen. 1762 kommt der erste russisch-orthodoxe Priester im Auftrag des Patriarchen von Moskau nach Wien. Die Pläne, eine eigene Kirche zu errichten, konnten erst in den Jahren 1893 bis 1899 verwirklicht werden. Seit 1946 ist die dem heiligen Nikolaus geweihte Kirche auch Sitz des russisch-orthodoxen Diözesanbischofs von Wien und Österreich. Seit 2003 ist das Bischof Hilarion (Alfeyev). Seit 1967 ist die russisch-orthodoxe Kirche in Österreich staatlich anerkannt.
An der Nikolauskirche wirken neben Bischof Hilarion vier Priester und zwei Diakone. Jeden Sonntag finden auf Grund der starken Nachfrage zwei Gottesdienste statt. Rund 80 Prozent der Leute gehen zur Kommunion und vorher zur Beichte, freut sich Erzpriester Chrysostomos über die sehr aktive Gemeinde. Nicht erfasst ist allerdings die Zahl der Gläubigen, die zur russischen Gemeinde gehören.