Dem Papst geht es in seinem Apostolischen Schreiben „Freude der Liebe“ um den Blick auf die Wirklichkeiten des Lebens. Verlässt er damit die Ideale, wie sie das christliche Leben kennzeichnen sollten? Aus der Reihe Impulse zu "Amoris Laetitia" von Reinhold Ettel SJ.
Ausgabe: 2016/39
27.09.2016 - Reinhold Ettel SJ, Linz
Papst Franziskus ermutigt, dass wir als Christen nicht darauf verzichten, uns zugunsten der Ehe zu äußern, nur um nicht dem allgemeinen Empfinden zu widersprechen. „Wir würden der Welt Werte vorenthalten, die wir beisteuern können und müssen.“ (AL 35)
Immer gilt es jedoch auf die verschiedenen Lebenssituationen zu achten. Es sind die Urteile zu vermeiden, „welche die Komplexität der verschiedenen Situationen nicht berücksichtigen“. Sehr schnell kann den Einzelnen dabei unrecht getan werden. Es geht zunächst um den Blick auf die Vielfalt der Beziehungen unter Menschen. Ohne Aufmerksamkeit für diese Realität kann man weder die Bedürfnisse der Gegenwart noch den Ruf des Heiligen Geistes verstehen, heißt es im Apostolischen Schreiben (AL 36).
Lange Zeit glaubten wir in der Kirche, dass wir allein mit dem Beharren auf doktrinellen, bioethischen und moralischen Fragen die Bindung der Eheleute festigen und die Familien ausreichend unterstützen. „Wir haben Schwierigkeiten, die Ehe vorrangig als einen dynamischen Weg der Entwicklung und Verwirklichung darzustellen und nicht so sehr als eine Last, die das ganze Leben lang zu tragen ist. Wir tun uns ebenfalls schwer, dem Gewissen der Gläubigen Raum zu geben. (…) Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen“ (AL 37) Die Praxis einer moralisierenden Pastoral ist zu überdenken. Es fordert Seelsorger/innen, Eltern, Pädagog/innen zur „pastoralen Beratung und Begleitung“ heraus. Sie sollen helfen, recht zu unterscheiden, und nicht einfach mit „erlaubt oder verboten“ argumentieren. Es erfordert die Gesprächsfähigkeit, mit der in der Begleitung die rechten Fragen gestellt werden und Orientierung vermittelt wird.