Die Zahl an Waffen in privatem Besitz in Österreich steigt. Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl gibt Auskunft darüber, warum das so ist.
Ausgabe: 2017/37
12.09.2017 - Susanne Huber
In Österreich wird privat aufgerüstet. Mehr und mehr Menschen im Land legen sich eine Waffe zu (siehe Kasten). Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl meint, man müsse diese Zahlen mit Vorsicht genießen. „Der Anteil an registrierten Waffen nahm zu, aber es gab immer schon eine nicht unerhebliche Anzahl an nicht registrierten Waffen, ein Grundstock, der bereits vorhanden war. Und da reden wir nicht von Waffen für kriminelle Zwecke, sondern von Waffennarren, die sich einmal eine Waffe zugelegt und nicht registriert haben.“
Hochgespielte Angst
Der unmittelbare „Anlass für die Nachfrage nach privater Bewaffnung – das reicht vom Pfefferspray bis hin zu Handfeuerwaffen – waren speziell die Ereignisse um sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln“, sagt der Kriminalsoziologe. Für Reinhard Kreissl war das eine medial hochgespielte Angst vor den Flüchtlingen. „Dieser Hype, dass es angeblich marodierende Horden gibt, die über uns herfallen und die Polizei könne uns nicht schützen, hat allgemein einen Motivationsschub ausgelöst, sich zu bewaffnen; wobei man dazu sagen muss, der Großteil der Waffen landet irgendwo in der Schublade und wird nicht herausgezogen. Die Polizei warnt dringend davor, diese Waffen einzusetzen – und es gibt praktisch auch kaum Situationen, in denen sie in die Versuchung kämen, zur Waffe zu greifen.“
Strenges Waffengesetz
Auf die Frage, ob es in Österreich ein strengeres Waffengesetz braucht, meint Reinhard Kreissl, dass es relativ streng sei. „Man kann im Kleingedruckten sicher noch etwas verbessern. Man hört, die vorgeschriebenen psychologischen Tests sind eher eine Formsache; da sollte genauer hingeschaut werden, wem man eine Waffenbesitzkarte oder die Lizenz, eine Waffe zu führen, gibt. Aber insgesamt denke ich, haben wir eine gute Waffengesetzgebung. Abgesehen davon: Wer es darauf anlegt, sich eine Waffe zu besorgen, der wird es tun. Völlig vertreiben können sie das Problem per Gesetz nicht.“
Geschürte Ängste
Was die Versuche betrifft, vermehrt in militärische Rüstung zu investieren, so sieht der Kriminalsoziologe darin im Wesentlichen „ein ökonomisches Problem. Wir haben eine Rückkehr zur Zeit vor 1989, als während des Kalten Kriegs investiert wurde in militärische Technologien. Diese Rüstungsindustrie ist dann zivil umdefiniert worden. Alles, was man nach 9/11 entwickelte an Überwachungs- und Spionagetechnologien, ist begründet worden mit der Terror-Angst, die geschürt wird. Es gibt dahingehend ein Interesse der Politik, der Medien und der entsprechenden Systementwickler und -betreiber. Dahinter steckt eine massive Industrie. Dazu zählen auch die Aufrüstung von Videokameras oder Sprengstoffdetektoren auf den Flughäfen. Da wird dick Geld verdient. Das ist der zentrale Treiber hinter der Aufrüstung“, sagt Kreissl, der Mitglied der Security Advisory Group der EU-Kommission war.
Doch die Wahrscheinlichkeit, wegen Behandlungsfehlern oder falschen Medikationen im Krankenhaus zu sterben sei wesentlich höher, als von Terroristen erwischt zu werden, sagt der Kriminalsoziologe. Das Gleiche gelte auch für andere angstbesetzte Straftaten – sexuelle Gewalt, Mord und Totschlag. „Das passiert in der Regel im sozialen Raum; Täter sind Väter, Mütter, Onkeln und Tanten, aber selten der Afghane, der hinter dem Busch lauert.“ «
Rüstungsatlas für Österreich
Die katholische Friedensbewegung Pax Christi Österreich ist derzeit mit anderen Friedensorganisationen dabei, einen „Rüstungsatlas Österreich“ zu erstellen. Hintergrund sei, dass immer wieder Waffen von österreichischen Herstellern in Kriegsgebieten auftauchten, obwohl dies per Gesetz verboten ist. Der Atlas soll Auskunft darüber geben, wo sich u. a. Produktionsstätten für Rüstung befinden. Ergebnisse zum Projekt, das von Franz Sölkner initiiert wurde, sind für 2018 zu erwarten.
Infos:www.ruestungsatlas.org
Waffen: Zahlen und Fakten
Laut Statistik des Österreichischen Bundesministeriums für Inneres gibt es aktuell (Stichtag 01. 09. 2017) 298.417 Waffenbesitzer und 1,009.768 Schusswaffen im Land; im Jahr 2016 waren es 285.234 Waffenbesitzer und 965.937 Schusswaffen; und im Jahr davor gab es 255.009 Personen, die eine Schusswaffe besaßen und 898.385 Schusswaffen. Derzeit sind 192.149 Personen Inhaber einer Waffenbesitzkarte, die den Erwerb und Besitz von Faustfeuerwaffen, halbautomatischen Schusswaffen und Repetierflinten berechtigt. Mit Stichtag 01. 09. 2017 waren 74.913 Personen registriert, die Inhaber eines Waffenpasses sind und oben genannte Waffen erwerben, besitzen und bei sich tragen dürfen. Die weltweiten Militärausgaben beliefen sich laut dem Statistik-Portal „Statista“ im Jahr 2016 auf insgesamt 1,69 Billionen US-Dollar (umgerechnet 1,41 Billionen Euro). An erster Stelle stehen dabei die USA (611 Milliarden US-Dollar bzw. 509 Milliarden Euro), gefolgt von China (215 Milliarden US-Dollar bzw. 179 Milliarden Euro) und Russland (69,2 Milliarden US-Dollar bzw. 57,60 Milliarden Euro). Quelle: Innenministerium, Statista