Enttäuscht und verärgert haben Vertreter der indianischen Völker auf die Papstrede zur Eröffnung der CELAM-Generalversammlung reagiert. Die österreichischen Theologen und ehemaligen Brasilienmissionare Franz Weber und Franz Helm sprechen von Realitätsverweigerung und Rückschritt.
Sogar Radio Vatikan berichtete vergangene Woche über die Kritik von Indio-Vertretern an den Aussagen des Papstes zur Christianisierung Lateinamerikas. So etwa wird Luis Evelis Andrade von der kolumbianischen Ureinwohner-Organisation ONIC mit folgender Aussage zitiert: „Wir können es nicht akzeptieren, dass die Kirche ihre Verantwortung für die Vernichtung unserer Kultur und unserer Identität nicht anerkennt.“
Geschichte ausgeblendet. „Der Papst hat im Blick auf die Bedeutung des Christentums für die Ausformung der gegenwärtigen lateinamerikanischen Religiosität und Kultur wesentliche historische Fakten und Brüche ausgeblendet“, sagt der Innsbrucker Pastoral- und Missionstheologe Franz Weber. Der aus der Steiermark stammende Comboni-Missionar hat neun Jahre in sozialen Brennpunktregionen Brasiliens gearbeitet. „Wenn der Papst davon spricht, dass die Weisheit der Urvölker eine Synthese zwischen deren Kultur und dem von den Missionaren angebotenen Glauben bewirkte, dann verharmlost er die Wunden der Geschichte. Denn zunächst“, so Franz Weber, „gab es keine harmonische Verbindung (Synthese), sondern eine tiefe Konfrontation. Und es kam zu einer Entfremdung der indigenen Völker von ihrer Kultur, die von den neuen Herren – auch im Namen der Mission – systematisch abgewertet und vernichtet wurde.“ Was der Papst in diesem Zusammenhang gesagt habe, sei ein bedauerlicher Rückschritt, meint Weber. Er verstehe offenbar nicht die Bemühungen der indianischen und der afroamerikanischen Theologie, die Wurzeln der indigenen Kulturen aufzugreifen und positiv anzuerkennen. Und es bedeute auch einen Rückschritt hinter das klare Einbekenntnis der lateinamerikanischen Kirche, dass sie an der Urbevölkerung und an den aus Afrika importierten Sklaven schuldig geworden sei. Benedikts Vorgänger, Papst Johannes Paul II., habe dafür um Vergebung gebeten.
Kein Wort über Basisgemeinden. Obwohl Papst Benedikt in seiner Rede vor dem Bischofsrat wiederholt die notwendige Kontinuität in der Entwicklung der Kirche in Lateinamerika betonte, spreche er mit keinem Wort die Basisgemeinden und die Theologie der Befreiung an, bedauert Weber einen „weiteren Rückschritt“. Der Papst blende damit die zwei wichtigsten Pfeiler der lateinamerikanischen Kirchenentwicklung der vergangenen vierzig Jahre aus. „Dabei geht es hier nicht um Experimente linker Progressisten, sondern um pastorale und theologische Konzepte, die ihre Wurzel in Beschlüssen der lateinamerikanischen Bischöfe zur Umsetzung des Konzils haben. Nicht ,Das Kapital‘ von Karl Marx, wie manche unterstellen, war der Anstoß für die Basisgemeinden und Befreiungstheologie, sondern die Enzyklika ,Über den Fortschritt der Völker‘ von Papst Paul VI. und die Bischofskonferenzen von Medellín und Puebla“, betont Weber.
„Die Verkündigung Jesu und des Evangeliums brachte in keinster Weise eine Entfremdung der vorkolumbianischen Kultur mit sich, auch nicht die Besetzung oder Auferlegung durch eine fremde Kultur.“ Papst Benedikt zur Eröffnung der CELAM-Generalversammlung
Die Aufregung um die Aussagen des Papstes zur Christianisierung Lateinamerikas (s. Kasten unten rechts) ist meiner Meinung nach mehr als verständlich. Für die christliche Theologie ist es zwar eine stimmige Aussage, dass Christus die Erfüllung der Sehnsucht aller Völker ist. Im Blick auf die geschichtliche Tatsache der Eroberung und Christianisierung Lateinamerikas ist diese Aussage aber äußerst problematisch. War doch die Eroberung, Unterwerfung und Versklavung der Völker Lateinamerikas ausdrücklich durch päpstliche Bullen legitimiert worden. Zwar stellte 1537 Papst Paul III. fest, dass die Indigenen auch Menschen sind und daher nicht versklavt werden dürfen. Trotzdem wurden weiter Indigene versklavt und Millionen von Afrikanern wurden als Arbeitssklaven „importiert“. Gott sei Dank gab es auch Missionare, die prophetisch ihre Stimme für die Indigenen und Schwarzen erhoben. Meist wurden sie mundtot gemacht. Über weite Strecken muss daher die sogenannte „Erstevangelisierung“ Lateinamerikas doch als Entfremdung und erzwungene Auferlegung gesehen werden. An einer anderen Stelle seiner Rede betont Papst Benedikt, dass nur im Blick auf Christus die ganze Realität erkannt wird. Hier scheint es aber, dass ihm der Blick auf die scheinbar „erfolgreiche“ Christianisierung Lateinamerikas die Sicht auf die historische Realität verstellt hat.
P. Dr. Franz Helm SVD, Missionstheologe in St. Gabriel (Mödling).