Woher komme ich? Was glaube ich? Im Exil in Babylon, umgeben von anderen Göttern, sind diese Fragen für Israel drängend.
CHRISTINA SPALLER
Als Israel im 6. Jh. v. Chr. in der babylonischen Gefangenschaft war, entstand der Schöpfungsbericht in Genesis 1. Es ist anzunehmen, dass den Verfassern dieses Textes der babylonische Schöpfungsmythos Enuma Elisch bekannt war. In der Fremde stellte sich angesichts der babylonischen Götter die Frage nach GOTT und nach der eigenen Identität. Genesis 1 ist ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung und diente der Bestätigung des eigenen Welt- und Selbstverständnisses in Abgrenzung zu Babylon.
Ein Haus für alle. In Genesis 1 wird ein Kosmos geschaffen, ein Haus für alle. Ausgangspunkt ist ein dreifach geschilderter chaotischer Zustand (wüste und leere Erde, Finsternis, Urflut), der nichts Göttliches in sich birgt. Aus dem Chaos formt GOTT einen Kosmos, einen geordneten Lebensraum. Geschaffen werden ein Raum (Gewölbe, Land), dessen Ausgestaltung (Pflanzen, Himmelsleuchten) und die Zeit (Tag und Nacht, das Jahr mit den Festzeiten, der siebte Tag als Ruhetag). Dieses Haus wird belebt durch Vögel und Wassertiere, Landtiere und Menschen. Allen Lebewesen sind die Pflanzen zur Nahrung gegeben. In der Vor-Zeit gibt es keine Fleisch fressenden Tiere, und Menschen essen vegetarisch. Dieses Bild taucht als Beschreibung der messianischen Zeit wieder auf – der Wolf wohnt beim Lamm, der Löwe frisst Stroh wie das Rind und man tut nichts Böses mehr (vgl. Jes 11, 6–9). Der Schaffung des Menschen geht in der Genesis und in Enuma Elisch eine göttliche Beratung voraus. Diese führt in Enuma Elisch zum Beschluss, aus dem Blut eines getöteten Gottes den Menschen zu machen. Die Beratung GOTTES in der Bibel endet anders: Menschen werden als sein/ihr Ebenbild geschaffen. Sie entstehen – auf ein Wort hin – männlich und weiblich, beide Abbilder GOTTES und gleich an Würde. In ihnen ist GOTT greifbar, durchscheinend. Die Idee, dass ein König als Abbild Gottes eine besondere Würde besitzt, wird in Genesis 1 „demokratisiert“. Jeder Menschen ist etwas Besonderes, steht in einem besonderen Verhältnis zu GOTT.
Wozu der Mensch da ist. Auch in der Aufgabenstellung unterscheiden sich die beiden Mythen. In der Genesis erhalten die Menschen die Aufgaben, sich zu vermehren und die Schöpfung zu bewahren. Sie werden nicht geschaffen, um GOTT Dienste abzunehmen, damit dieser ruhen könne. GOTT wird ruhen am siebten Tag, und mit ihm die ganze Schöpfung. Die Ruhe jedes siebten Tages ist dem Menschen von GOTT geschenkt und nicht umgekehrt. GOTT erklärt ihn für heilig, ihm zugehörig, segnet und macht ihn zu einem Tag der Lebensfülle. In Genesis 1 wird Schöpfung gedacht als ein von GOTT gestaltetes Haus, in dem alle Lebewesen ihren Platz haben und friedvoll miteinander leben, es ist ein Zustand der Ausgewogenheit und der Fülle für alle.
Stichwort
„Enuma Elisch“
„Als oben der Himmel noch nicht benannt war, als drunten die Erde Namen noch nicht hatte, als die Wasser des uralten Apsu (Süßwasserozean), ihres Vaters, und der Mutter Tiamat (Urozean), die sie alle gebar, noch nicht vermischt waren, als nicht Binsen entstanden, nicht Schilfdickicht gesehen, als keiner der Götter erschaffen, kein Name genannt, die Schicksale nicht bestimmt waren – da wurden die Götter in ihnen geschaffen.“ So beginnt der babylonische Schöpfungsmythos. Nichts existiert außer dem Süßwasserozean und dem Urozean. Aus der Mischung beider entstehen Gottheiten, die sich durch Tanzlärm beim Urelternpaar Ärger einhandeln. Apsu will sie vernichten, damit er wieder Ruhe finden kann. Doch Ea, der weiseste der Götter, kommt Apsu zuvor, tötet ihn und richtet sich in ihm eine Wohnung ein. Dann zeugt Ea mit seiner Gattin Damkina den Marduk (der zukünftige babylonische Hauptgott). Sein Aufstieg ist eng verknüpft mit der Schaffung des Kosmos und der Menschen. Ein Teil der Gottheiten stiftet Tiamat an, Dämonen zu schaffen, um gegen Ea zu kämpfen. Unter Kingu ziehen sie in den Kampf, werden aber von Marduk besiegt. Marduk tötet Tiamat, spaltet ihren Leib, macht aus je einer Hälfte den Himmel und die Erde und richtet einen geordneten Kosmos ein. Nachdem Marduk die Zuständigkeiten der Götter neu geregelt hat, erschafft er den Menschen: „Er öffnete seinen Mund, um zu Ea zu sprechen . . . Ich will Blut zusammenbringen und Knochen formen, ich will den ,Lullu‘ (sumerisch ,Mensch‘) ins Leben rufen . . . Ich will den Lullu-Menschen erschaffen, auf den die Mühsal der Götter gelegt sein soll, damit diese Ruhe haben.“ Kingu, der zum Krieg anstiftete, wird als Schuldiger ausgeliefert und getötet, aus seinem Blut ist der Mensch gestaltet, dem der Dienst an den Göttern auferlegt worden ist.
Den gesamten Text des „Enuma Elisch“ finden Sie auf www.kirchenzeitung.at (unter „Service“).