Ausgabe: 2006/21, Wachkoma, Christkindl, Steyr, Stockinger, Landespflegeheime, LPBZ, Augen, Gehirnblutung, Tag des Lebens
24.05.2006 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Behutsamer Umgang ist eine Selbstverständlichkeit in der Pflege. Foto: KIZ/Ernst Gansinger.
Sie stand mitten im Leben: Familie, Wohnung, Auto, schöner Beruf, Urlaub am Meer, sportlich aktiv. Und dann der radikale Stopp: Gehirnblutung mit 36 Jahren. Seither ist Frau M* mehr als ein Jahr im Wachkoma. – Ein ähnliches Schicksal wie sie, die im Landes Pflege- und Betreuungszentrum Christkindl betreut wird, haben etwa 1.000 Wachkoma-Patienten in Österreich.
ERNST GANSINGER
Das Zimmer ist hell. An der Wand hängen Bilder aus vergangenen Tagen. Das Radio läuft. Er spielt Musik, die Frau M* früher gerne hörte. Ein Pfleger bringt sie eben vom Bad und legt sie in ihr Spezialbett. Hier ist sie umgeben von vielen Reizen, die in ihrem Leben früher wichtig waren. Gesicht und Augen folgen kaum den Stimmen im Zimmer.
* Der Name wurde von der Redaktion verändert.
Etwa 100 Bewohner/innen leben in der vom Land OÖ geführten Einrichtung in Christkindl; sechs von ihnen sind Wachkoma-Patienten. Sie kommen aus allen Altersgruppen. Unfälle, Schlaganfälle und Herzinfarkte mit langer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns sind die häufigsten Ursachen für diese sehr schwere neurologische Krankheit. Die Betroffenen brauchen besondere Pflege.
Wandel in der Pflege
Direktorin Leopoldine Halbmayr leitet das Zentrum Christkindl. Sie freut sich über den Wandel in der Psychiatrie: Warm, satt, sauber – reicht bei weitem nicht. „Es geht um Betreuung, Angebote, Therapie.“ Wenn möglich, werden die Bewohner/innen in Vorbereitungsarbeiten einbezogen. Etwa zum Gartenfest am 19. Mai im wunderschönen Garten, der zum Haus gehört.Die Wachkoma-Patienten können daran nicht teilnehmen. Soviel Leid, soviel Hilflosigkeit – ist das nicht deprimierend? „Nein, meine Lebensfreude ist gestiegen, denn jetzt geht es ihnen besser.“ Hier in Christkindl kümmern sich mehr als zehn hochqualifizierte Menschen um die Wachkomapatienten – diplomierte Schwestern bzw. Pfleger, Altenfachbetreuerinnen, ein Masseur, ein Physio- bzw. Ergotherapeut und eine Logopädin. Das Zentrum Christkindl ist eines von vier Pflege- und Betreuungseinrichtungen des Landes Oberösterreich, das die Wachkoma-Stationen ausbaut. Weitere soziale Einrichtungen des Landes sind drei Kinder- und Jugendheime und ein Familientherapie-Zentrum.
Tränen beim Rasieren
Schwester Maria Kaiblinger gehört zum Team der Wachkoma-Abteilung. Die Ruhe auf der Station schätzt sie, leugnet aber nicht, dass es auch belastend sein kann, was man alles zu sehen bekommt. Als Um und Auf bezeichnet sie die Angehörigen-Betreuung. „Man muss viel fragen, was die Patienten gerne gehabt haben, und die Pflege danach ausrichten.“ Außenstehende können bei Wachkoma-Patienten kaum Reaktionen wahrnehmen. Die Pfleger und Schwestern erleben aber, dass die Patienten nach Massage entspannter sind oder aber, dass sie auf Einflüsse mit erhöhtem Puls und schnellerer Atmung reagieren oder auch mehr schwitzen als sonst. Maria Kaiblinger erzählt, dass es vorkommt, dass einem Patienten beim Rasieren Tränen über die Wangen kollern.
Verneigen vor dem Schicksal
„Es gibt Situationen, da kannst du dich vor dem Schicksal nur verneigen“, zitiert Leopoldine Halbmayr den Linzer Unternehmensberater, Sterbebegleiter und Buchautor August Höglinger. Wachkoma ist eine solche Situation.
Sterben können
In Österreich gibt es etwa 1.000 Wachkoma-Patienten (apallisches Syndrom). Der Tag des Lebens am 1. Juni lenkt den Blick darauf, dass es um den Schutz des Lebens in allen Phasen des menschlichen Lebens geht. Auch um das bedürftige, hilflose Leben in schwerer Krankheit.
Direktorin Leopoldine Halbmayr vom Landes- Pflege- und Betreuungszentrum Christkindl erzählt eine nachdenklich stimmende Begebenheit: Als der erste Wachkomapatient in Christkindl, ein 28 jähriger Mann mit Gehirntumor, gestorben war, kam die Mutter, die immer um das Leben ihres Sohnes gebangt und gekämpft hatte, zu ihr. Sie sagte, das Schlimmste war, wenn jemand meinte: „Gott sei Dank, jetzt hat er sterben können!“
Empfindsame Hände
Sicher ist, dass die Patienten fühlen und spüren, sagt der Pflegedienstdirektor von Christkindl, Franz Seyerlehner. Er setzt auf Bezugspflege: Während eines Tages pflegt immer die gleiche Person den Patienten. „Von den Augen kann man sehr viel ablesen und die Hände müssen empfindsam sein.“ Es gibt schöne Erfolge der Pflege. Diese bindet alle Sinne ein. Ein Beispiel: Hat der Patient früher gerne ein Bratl gegessen, taucht man ein Wattestäbchen in den Bratensaft und führt es zu seinem Gaumen.
Wachkoma
Landesrat Dr. Josef Stockinger, in dessen Ressort die acht Landespflege- und -Betreuungszentren fallen, meint: „In schwierigen Situationen der Pflege und Betreuung lässt das Land OÖ die Angehörigen nicht im Stich. Es gibt professionelle Hilfe engagierter Mitarbeiter in vorbildlichen Häusern. Die Österreichische Wachkoma Gesellschaft will durch ihre Arbeit dazu beitragen, den Bedürfnissen von Wachkoma-Patienten zu entsprechen, ihre Heilungschancen zu verbessern, ihre Lebensqualität zu erhöhen und die Belastung der Angehörigen etwas mildern.“