„Die Freiheit, die wir uns selber nehmen, wird ihnen unbequem“ – schreibt Helmut Seethaler und klebt sein Gedicht an einen Baum. Seine Zettelkunst begeistert, macht nachdenklich und führt zu zahlreichen Amtshandlungen.
„Ich habe keinen Mistkübel entleert und daher keine Verschmutzung laut Reinhalteverordnung verursacht“, so lautet eine der Entgegnungen, die Zettelpoet Seethaler beim Bezirksamt im 20. Wiener Bezirk eingebracht hat. Die ungewöhnliche Präsentation seiner Dichtkunst hat dazu geführt, dass „300.000 Stück Literatur“ amtlich vernichtet wurden. Wenn Seethaler seine Zettel aus dem Mistkübel rettet, wird das als Verunreinigung gewertet und geahndet.
Auf 1450 Anzeigen hat es der umtriebige Zettelpoet schon gebracht, 1442 Berufungen hat er gewonnen. „Mittlerweile darf ich die Polizei rufen, wenn die Polizei meine Zettel abreißt“, kann Seethaler über die Groteske schon lachen, aber im Ernst: „Ich lasse mir bestimmt nicht von einem Polizisten sagen, ob das Kunst ist oder nicht. Es gibt die Freiheit der Kunst und deren Verbreitung.“ – Das hat der Zettelpoet aus Wien, der eine Zeit lang Philosophie studiert hat, nun auch schriftlich. Das Oberste Gericht hat seine Zettel mittlerweile als „anerkannte Kunst, die geschützt werden muss“, eingestuft.
Seit mehr als 20 Jahren ist Seethaler in Österreich unterwegs. Ob in Wels, Gmunden oder Linz: Wenn er da ist, hinterlässt er Spuren, die nicht zu übersehen sind. Auf Schnüren zwischen Bäumen, Stangen, Laternen, Lichtmasten hängt er seine Zettelgedichte auf. In Wortspielen hinterfragt er darin gängige Gesellschaftsmuster, den Konsumwahn, die eigene Mutlosigkeit, den Hang zum Mitläufertum. Während Passant/innen auf den Bus oder die U-Bahn warten, greifen sie oft ein wenig schüchtern zu einem Zettelgedicht, halten kurz inne, heben das Stück Papier im Geldtascherl auf oder werfen das Gedicht erbost, erheitert, nachdenklich weg. Neben den 1450 Anzeigen kann der erfahrene Zettelpoet auch 23.000 Droh- und Fanbriefe vorweisen.
Reaktionen – das war es, was er vermisst hat, als er in jungen Jahren einen Gedichtband – eine Jugendsünde, wie er schmunzelnd sagt – herausgegeben hat. Von den „Pflückbüchern“ ist bereits Nummer 3 im Werden. Dennoch: „Mir genügt der nächste Baum. Mein Kunstraum ist der Sprachraum“, erklärt der Wiener. Genau dort, wo Menschen gehen, stehen, warten, platziert er seine Zettelkunst, die ihn auch ernährt. „Ungefähr 8.000 Schilling bleiben im Monat über. Davon können wir leben“, zeigt sich der Vater von drei Töchern genügsam. Einnahmen kommen meist per Post. Denn gegen Bares schickt Seethaler seine Gedichte auch zu.
Unverlangt hingegen hat er mehrere Firmen mit seinen Zetteln per Fax beglückt. Einige beklagen sich, andere sind erfreut. Seethaler zu seinem Fax-Sendungsbewusstsein: „Kunst muss in die Gesellschaft eingreifen. ... Die Erfahrung zeigt, dass mit Zetteln, mit Fax andere Schichten erreicht werden. Wer kümmert sich um die 90 Prozent Nicht-Lesenden?“ Einer ganz sicher, der Zettelpoet!
Helmut Seethaler ist am Sonntag, 22. April Gast beim Puchberger Literaturfrühstück. Anmeldung erforderlich: Tel. 07242/475 37. Beginn: 9.30 Uhr.