Serie: Symbole – Bilder der Seele des Menschen (5)
Ausgabe: 2000/07, Baum
15.02.2000 - Brigitte Huemer
Noch sind sie kahl, die Bäume, und tragen gleichsam ihr Winterkleid. Aber schon in einigen Wochen werden die ersten hellgrünen Schimmer an den Ästen und Zweigen auftauchen. Das Warten auf die ersten Blätter an den Bäumen ist gleichermaßen geprägt von Vorfreude wie von Ungeduld. Scheinbar zuverlässig und immer wieder neu geschieht dieses Wunder des Lebens: Ein Meer an Blüten und zarte grüne Blätter im Frühling, reifende Früchte und sattes Grün im Sommer, Ernte der Früchte und herbstlich leuchtende Farben in allen Schattierungen. „Es knospt unter den Blättern, und das nennen sie Herbst“, so Hilde Domin in einem ihrer Gedichte. Der Baum ist so ein Symbol von Werden und Vergehen, von Hoffnung auf dauerndes Sein, ein Symbol von Leben durch den Tod hindurch. In verschiedenen Religionen, auch in der biblischen, gibt es Erzählungen vom Paradies, in dessen Mitte der Lebensbaum steht. Die magische Vorstellung, dass der Genuss von Früchten eines bestimmten Baumes den Menschen verjüngen, sein Leben verlängern oder ihn gar vor dem Tod bewahren kann, findet sich in vielen Kulturkreisen. Die Wurzeln eines Baumes wachsen aus der Tiefe der Erde und die Krone ragt frei in den Himmel, scheint ihn gleichsam zu berühren. Der Baum wird so zum Bild der Sehnsucht des Menschen, fest in der Erde zu wurzeln und gleichzeitig dem Himmel verbunden zu sein. Das Symbol des Lebensbaumes kommt in vielen Texten des Ersten Testamentes zur Sprache. So heißt es im Buch der Sprüche: „Wer nach der Weisheit greift, dem ist sie Lebensbaum.“ In Psalmen und Prophetenbüchern findet sich der Baum als Sinnbild des Menschen, der Gott liebt: „Der Gerechte gedeiht wie eine Palme, er wächst wie die Zedern des Libanon … Sie tragen im Alter noch Frucht und bleiben in Saft und Frische“ (Ps 92, 13. 15). Aber auch Hiob vergleicht seine scheinbar hoffnungslose Situation mit einem Baum: „Denn für den Baum besteht noch Hoffnung, ist er gefällt, so treibt er wieder aus, sein Sprössling bleibt nicht aus.“ Gott selbst ist es bei Ezechiel, der sich Israels – im Bild der Zeder – und aller Menschen annimmt: Ich selbst breche ein Stück vom hohen Wipfel der Zeder und pflanze es ein auf dem Berg … dann werden die Bäume auf den Feldern erkennen, dass ich der Herr bin (vgl. Ez 17, 22-24).