Wenn die Kinder selbständig werden, kommen manche Mütter in die Krise
Ausgabe: 1999/23, Loslassen
08.06.1999 - Isabella Ömer
Der Sohn als Ersatzpartner, die Tochter als einziger Lebensinhalt: Wenn Mütter nicht loslassen können, passen sich die Kinder brav an – oder geraten in einen Machtkampf.
Die 35jährige Tochter wohnt noch zu Hause. Wenn sie übers Wochenende fortfahren will, bekommt ihre Mutter Herzprobleme. Besonders schlimm ist es, wenn die Tochter einen Partner findet. Mehrere Beziehungen sind deswegen schon zerbrochen. Eine andere Mutter verkraftet es nicht, daß ihr 12jähriger in die Pubertät kommt: „Was soll ich nur tun, wenn er zu selbständig ist? Ich halte es nicht aus, wenn ich kein Baby mehr habe.“ Dies sind zwei Beispiele für etwas, das manche Mütter nicht schaffen: ihr Kind loslassen, zu einem selbständigen Menschen werden lassen.
Kinder als Partnerersatz
Ablösungsprobleme sind immer wieder Thema in der Familienberatung. Der Trennungskonflikt ist vor allem in jenen Familien schwierig, in denen sich die Mutter ausschließlich auf das Wohl der Kinder konzentriert. Sie vernachlässigt ihre eigenen Interessen und Freundschaften. Wenn es in der Ehe nicht so gut läuft, werden die Kinder auch zum Partnerersatz. Für ihre Aufopferung erwartet eine solche Mutter vom Sohn oder der Tochter oft Zuwendung und Dankbarkeit als „Belohnung“.
Die Kinder reagieren auf die Umklammerung durch die Mutter unterschiedlich, sagt Anna Eder, Erwachsenenbildnerin für Familienfragen: „Manche Kinder werden angepaßt. Sie wollen gefallen und gehen dem Konflikt aus dem Weg. Sie können keine eigene Identität entwickeln und nicht für sich selbst bestimmen.“ In anderen Fällen kommt es zu Streit und Machtkämpfen, die nicht selten damit enden, daß der Nachwuchs den Kontakt mit der Mutter stark einschränkt. Bei Töchtern ist die Loslösung zwar in der Regel weniger radikal als bei Söhnen, dauert aber länger. Denn Mädchen werden meist angepaßter erzogen. Zuwendung und Pflege wird von ihnen stärker erwartet als von den Burschen.
„Mutter sein ist ein schöner Lebenssinn, aber es sollte nicht der einzige sein“, ist Psychotherapeutin Monika Kornfehl überzeugt. Sie berät immer wieder Mütter im Trennungskonflikt: „Manche dieser Frauen haben keine eigenen Wünsche und Interessen mehr. Ich suche dann mit ihnen gemeinsam nach einem neuen Sinn für ihr Leben.“ Kurse, Frauenrunden und Vorträge könnten Anregungen für neue Interessen geben, so Kornfehl. Auch sei die Loslösung vom Kind eine Chance, die Partnerschaft neu zu beleben. „Das Loslassen darf einer Mutter wehtun. Das ist ganz natürlich“, betont Erwachsenenbildnerin Anna Eder. „Eine Frau soll ihre Trauer aber am besten mit dem Partner oder einer guten Freundin besprechen. Dem Kind würde sie damit ein schlechtes Gewissen machen.“