Diskretes und Indiskretes von Eheleuten in Pension
Ausgabe: 1998/35, Eheleute
25.08.1998 - Hilde Ehrenberger
Strahlend stehe ich vor meinem Mann, drehe mich nach allen Seiten. „Zufrieden?“ frage ich.„Was mach ich mit so einer schönen Frau. Daneben verblasse ich ja zur Gänze“, sagt er.„Muß nicht sein. Geh hin und tue desgleichen“, antworte ich.„Heißt das, daß ich mich auch bürgerlich verkleiden muß, nur weil wir heute zu den Sowiesos gehen? Ich habe gedacht, es genügt, wenn ich das Hemd wechsle…“Innerlich tue ich einen tiefen Seufzer. Fast jedes Mal, wenn wir ausgehen, die gleiche Szene. Mein Mann liebt es bequem. Eine alte Hose, ein Ausschlaghemd, ein Pullover, eine Lederjacke – schon hat es sich. Wozu dieser Firlefanz von Umziehen, womöglich mit Krawatte! Was er für Ausreden parat hat, um sich vor dem „Kulturstrick“ zu drücken, ist sagenhaft. Was sich da abspielt, wenn es um einen Anzug geht, ist kabarettreif, manchmal sogar dramatisch mit jähen Abschlüssen. Ich habe im Lauf der Zeit ein ganzes Arsenal von Tricks entwickelt, um ihn dazu zu bringen, sich „bürgerlich zu verkleiden“, wie er es nennt.„Schau, du darfst nicht versumpern!“ „Nichts ist unappetitlicher als ein ungepflegter alter Mensch!“ „Laß dich nicht so gehen, das ist abstoßend!“„Wir sollen doch zusammenpassen, oder? Aber wenn ich mich jetzt so ,angedrindelt‘ habe, kannst du nicht so abgefetzt daherkommen.“Viel weiter komme ich nicht. Bestenfalls winkt er müde ab, schlechtestenfalls wird er so grantig, daß auch mein strahlendes Äußeres den Abend nicht zu retten vermag.Ich will ihn wirklich nicht quälen. Aber in diesem Falle darf ich wohl nicht nachlassen. Gerade jetzt, wo wir älter werden, ist die Gefahr groß, daß die Gepflegtheit sich in Windeseile davonmacht, von der Müdigkeit vertrieben wird. Und es ist scheußlich, wenn ein alter Mensch nach Mief riecht und verlottert daherkommt. Ich aber hätte so gerne, daß man uns beide mit Vergnügen anschaut!Natürlich gehört dazu ein bißchen Mühe. Aber es zahlt sich aus. Wenn mein Liebster dann so halbwegs aufgemöbelt daherkommt, ist er fesch und unvergleichlich wie vor bald fünfzig Jahren. Was ich ihm auch sage… PS: Körperkultur. Vielleicht hätte es am Anfang genügt zu sagen: „Bitte halt die Hand vor den Mund, wenn du hustest.“ Oder: „Auch wenn ich derrisch bin, höre ich, wie geräuschvoll du kaust.“ Hie und da habe ich versucht, eine Winzigkorrektur anzubringen. Wir haben dann immer gelacht, wenn er auf meine Bemerkungen Martin Luther zitiert hat: „Hat es euch nicht geschmacket. Warum rülpset und pforzet ihr dann nicht?“ Aber so wörtlich muß man es ja nicht haben, auch nicht in einer Alters- und Langzeitehe. Wenn im Alter unser Luxuskadaver immer mehr nachläßt, dann ist Körperkultur umso wichtiger. Dazu braucht es Disziplin und Humor.