Die täglichen sieben Minuten oder miteinander reden
Diskretes und Indiskretes von Eheleuten in Pension
Ausgabe: 1998/34, Eheleute in Pension
18.08.1998 - Hilde Ehrenberger
„Heute kommen wir nicht auf unsere sieben Minuten“, sagt mein Mann, schluckt hastig den letzten Bissen hinunter und entfernt sich in Richtung „Hausaltar“, sprich Fernsehapparat.„Kannst du es nicht einmal lassen?“ stöhne ich. „Prinzipiell ja, aber heute nicht. Ich möchte doch wissen, wie die Diskussion um das Budget ausgeht, damit ich dir morgen wieder die Welt erklären kann.“„Morgen, immer morgen“, sage ich beleidigt. „Ja! Da kommen wir dann sogar auf mehr als sieben Minuten. Das bringt die Statistik vom Ringel durcheinander…“ Erwin Ringel, der österreichische Seelendoktor, ist schon einige Jahre tot. Er hat einmal festgestellt, daß alte Ehepaare nicht länger als sieben Minuten pro Tag miteinander reden.Als junge Frau las ich einmal in einer deutschen Illustrierten: Worüber und wie lange Reden Eheleute miteinander? Wenn sie verliebt sind, reden sie über Himmel und Hölle, einfach über alles. In der Aufbauphase reden sie übers Nesterlbauen, dann über Kinder, dann über Geld, zuletzt nur noch über Gesundheit und ihre Wehwehchen. Und die Gesprächszeit verkürzt sich immer mehr. Siehe Ringel. Unser Hauptthema müßte also Gesundheit sein. Leider nimmt sie wirklich einen höheren Stellenwert ein als früher, allein schon wegen der Organisation von lästigen Arztkontakten. Aber daß wir auf mehr als die sieben Minuten kommen, liegt an den anderen Themen: Das tägliche Leben – rasch erledigt; die Familie, Kernfamilie wie Sippschaft – da läuft die Konversation auf Hochtouren; Geld – kein Thema. Auch deshalb, weil mein Finanzminister eine beruhigende Sicherheit ausstrahlt frei nach dem Motto von Nestroy: „Einmal möcht ich so leben könna, wia i leb.“ Das ist zwar für Staatsfinanzen unhaltbar, aber für uns hat er immer noch großartig budgetiert. Weitere Themen: Interessen, endlose Diskussionen über Fernsehsendungen, heftige Debatten über politische Entwicklungen, genüßlicher Gedankenaustausch über ein Kulturprogramm. Sehr oft sehr weit auseinandergehende Auseinandersetzungen über Leitartikel (mein Mann war viele Jahre als Journalist tätig). Der Stoff geht uns nie aus. Voraussetzung: Man denkt und hat eine (eigene) Meinung. Wie meine Cousine Trude zu sagen pflegt. „Mit mir ist mir nie langweilig.“ Und wenn man selber denkt, kann man auch miteinander denken. Und reden.Was nicht heißt, daß man nicht auch zuzeiten miteinander schweigen kann. Liebevoll schweigen.