Morgenunterhaltung oder Gespräch - Was einen so auf die Palme bringt
Diskretes und Indiskretes von Eheleuten in Pension
Ausgabe: 1998/33
12.08.1998 - Hilde Ehrenberger
Einleitung:„Es kommt“, doziere ich. Wir sitzen beim Frühstück, das ist die fruchtbarste Zeit zum Dozieren. Da gibt es kein Mittagsjournal, dem man unbedingt zuhören muß. Kein Abfahrtslauf oder Daviscup beeinträchtigen die Aufmerksamkeit meines Liebsten. Also doziere ich: „Es kommt etwas auf uns zu.“ „Na schön – und wenn auch“, nickt er ergeben. „Es wird uns schon nicht gleich umbringen. Wir haben immer noch überlebt. Was aber meinst du eigentlich?“Altersehe„Die Altersehe“, sinniere ich. „Wir leben einfach zu lange. Du wirst sehen, das ist das Problem der Zukunft.“ „Ich lebe ganz gut dabei“, sagt er und ist schon bei der dritten Zigarette – ein Hohn! „Du siehst überall Probleme, denk an Einstein.“Was kann ich schon gegen Einstein? Ich finde das Leben zwar relativ gut, aber von der Relativitätstheorie habe ich keine Ahnung: Ich kenne nur seinen Ausspruch: „Ich denke nie an die Zukunft, die kommt von selber früh genug.“ Mag schon sein, daß die Zukunft von selber kommt – aber ein bisserl vorbereiten könnte man sich doch… „Also komm schon“, seufzte mein Mann, „wie ist das mit der Altenehe?“ „Altersehe“, sage ich scharf. „Wir leben zu lange. Sechzig- bis siebzigjährige Ehen werden keine Seltenheit mehr sein. Schreckt dich das nicht?“ „Warum sollte mich das schrecken? Wir werden’s schon miteinander aushalten. Jetzt haben wir fast 50 Jahre trainiert.“ „Aber es gibt keine Modelle“, sage ich. „Und niemand ist da, den man fragen könnte. Wir müssen ausprobieren, wie das geht, wenn man den größten Teil seines Lebens verheiratet ist und miteinander alt wird, pflegebedürftig, hinfällig…“ „Hör auf, Horrorvision!“ ruft er. „Siehst du“, sage ich, was können wir tun, damit es keine Horrorvision wird? Immer wieder stoße ich auf das Problem, und in vielen Gruppen, mit denen ich arbeite, heißt es ,Können Sie uns ein Buch empfehlen?‘ Ich weiß keines.“ „Wenn du keines findest, dann schreib selber eines“, sagte mein Mann…Aus dem daraus entstandenen Manuskript bringen wir in mehreren Folgen Auszüge.Wir sitzen beim Frühstück, trinken, schweigen. „Heute keine Morgenunterhaltung?“ fragt mein Nachtvogel mit Morgenmuffelallüren. „Muß ich immer anfangen?“ frage ich zurück. „Angeblich ist der Beruf der Animatorin etwas Seriöses, aber wir sind hier nicht in einem Mittelmeerluxusklub. Wenn du ein Gespräch willst, fang es gefälligst selber an.“„So knapp nach Mitternacht?“ Es ist, zur Klarstellung, halb neun Uhr morgens. „Wovon soll ich reden? Im Fernsehen war nichts los. In der Politik schlafen sie zur Zeit auch. Also keine Probleme, die du nicht kapierst. Und keine offenen Fragen, die mich veranlassen könnten, dir wieder einmal die Welt zu erklären.“Ich schweige und warte, was kommt. Es kommt nichts. Ja, so ist das eben. Und nicht nur bei Frühstücksgesprächen. „Warum seufzest du so abgrundtief?“ läßt sich mein Gegenüber herbei zu fragen.„Mir ist eingefallen, was eine Kollegin neulich erzählt hat.“„Ach so.“ Interessiert er sich nun dafür oder nicht? Ich probier’s. „Ihr Mann ist Psychologe und hält Seminare für Gesprächsführung und Kommunikation. Aber wenn bei ihnen zu Hause dicke Luft ist, muß immer sie anfangen. Oder wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist, bringt er auch kein Wort über die Lippen. Er würde sich eher die Zunge abbeißen, als über etwas anderes als Sachfragen zu reden.“„Ach ja?“ antwortet mein Mann spöttisch. „Gibt es auch andere Themen?“„No na“, sage ich. „Du weißt genau, was ich meine. Wann haben wir zwei zum Beispiel das letzte Mal über etwas anderes als über die Zeit im Bild geredet? Du bist wie der Psychologieehemann. Der predigt über Gefühle, aber selber zugeben, daß man welche hat, kommt nicht in Frage.“„Mich wundert sehr, daß du mir diese Fähigkeit absprichst“, spottet mein Mann schon wieder. Er schaut mich lange an, dann steht er auf und gibt mir einen Kuß. „Tun ist besser als reden“, sagt er. Er wird’s nie lernen! Aber muß er wirklich alles können?Was einen so auf die Palme bringt„Mein Gott, hast du einen blöden Mann“, sagt eben dieser reumütig, als ich ihm beim Ausräumen des Autos erwartungsvoll zusehe und zur Kenntnis nehme: die Zwiebel und die Erdäpfel, die er mir mitbringen sollte, sind nicht dabei. „Macht nichts“, sage ich.Von der Anstrengung der halb erledigten Einkäufe ganz geschafft, setzt er sich vor den Fernseher. Gebannt schaut er in das Glotzodrom und staubt die Zigarettenasche neben den Ascher. Er merkt, daß ich es merke und wischt verschämt mit der Hand alles weg. Graue Aschenbahnen ziehen sich über die Unterlage.„Macht nichts“, sage ich. „Das nächste Mal nimm lieber den Tischstaubsauger.“ Wir sitzen beim Mittagessen, Er faßt mit dem Schöpfer in den Suppentopf, gießt daneben. „Diesmal hilft auch der Staubsauger nichts“, sagt er schuldbewußt. „Macht nichts. Ich trag’ die Konsequenzen“, sage ich. Jetzt lachen wir beide. Wir haben unsere Standardredewendungen. Wenn ich etwas anstelle, sagt er: „Nur Geduld, mit uns kann’s nur schlimmer werden.“ Wenn ihm etwas daneben geht, sage ich: „Ich trag’ die Konsequenzen.“Ja, die Unarten, die einen täglich auf die Palme bringen, nehmen mit dem Alter zu. Nicht die gewichtigen Ereignisse machen das Leben aus, da verhält man sich vielleicht großartig. Eine Riesenkrise im Berufsleben steht man durch, ist selbstverständlich einander Stütze und wächst zu ungeahnter „Größe“. Aber diese lästigen Unarten, die einen Tag für Tag nerven! Abgewöhnen? „Die Summe aller Laster ist konstant“, lacht er, wenn ich ihn bitte, die Hose nicht ungelüftet in den Kasten zu hängen oder den Mantel nicht mit Dreckspritzern anzuziehen. Er hat ja recht. Kaum erzählt er triumphierend, wie schön er seinen Schreibtisch aufgeräumt hat, verteilt er gleichzeitig sämtliche Zeitungen auf allen verfügbaren Abstellflächen. Was soll’s, ich bin auch nicht vollkommen. Es ist mir lieber, wir haben einander mit allen Fehlern, als wir haben einander nicht…