Beobachter sagen, Menschenrechtsverletzungen seien heute im Kongo schlimmer als vor zehn Jahren. Selbst die Gesprächspartnerin der Kirchenzeitung, eine Ordensfrau aus Österreich, wollte anonym bleiben.Mit dem Sieg Laurent Kabilas im Mai letzten Jahres hat die überwiegende Mehrheit im Zaire große Erwartungen verknüpft. Was ist daraus geworden? Sr. Brigitta: Momentan ist die Furcht groß, auch noch die einzig positive Errungenschaft zu verlieren: die relative Stabilität der Preise. Sie brachte zwar eine Erleichterung, aber alle fragen sich, mit welchen Mitteln das erreicht wurdet. Nun soll eine neue Währung kommen, und alle fürchten den totalen Zusammenbruch.Andere Erwartungen, die Kabila selbst geweckt hat, wie die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Zahlung ausstehender Löhne, haben sich nicht erfüllt. Einzig die Armee erhält ihren Lohn. Jedoch Lehrer, Ärzte oder Krankenpfleger haben erst das Gehalt für Mai 1997 erhalten. Seit Monaten ist die Symbolfigur der Opposition, Etienne Tshisekedi, unter Hausarrest. Wie reagiert die Bevölkerung?Sr. Brigitta: Die Angst ist groß. Bereits bei seiner Verhaftung gab es kaum öffentliche Reaktionen. In den letzten Wochen gehört es beinahe zur Tagesordnung, daß Journalisten verhaftet werden. Das Land war unter Mobutu der Demokratie viel näher als heute. Es gab ein breites Bewußtsein, sich für Demokratie einzusetzen. Und viele haben das in den letzten Jahren auch angstfrei getan, selbst die Kirche. Von der katholischen Kirche, unter Mobutu Sprachrohr für Menschenrechte und demokratische Erneuerung, hört man gegenwärtig nichts. Nach Monaten des Wartens kam es im Jänner zur ersten Begegnung zwischen dem neuen Machthaber und den katholischen Bischöfen. Es hieß, der Präsident habe fast ausschließlich über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit gesprochen. Doch tags darauf hat sein Informationsminister eine ganz scharfe Warnung an die Adresse der Kirche gerichtet: Man werde es nicht hinnehmen, wenn Priester in der Messe politisieren. Beobachter sagen, Menschenrechtsverletzungen seien heute schlimmer als vor zehn Jahren. Sr. Brigitta: Die Opposition ist ausgeschaltet, das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit wird verletzt. Beinahe täglich gibt es Berichte, daß Häuser überfallen und Frauen vor den Augen ihrer Männer vergewaltigt werden. Man weiß allerdings nicht, wer dahintersteckt – die Schwerstbewaffneten tragen Zivil. In letzter Zeit nehmen besonders die Überfälle auf Ordenshäuser zu, wobei Ordensleute ums Leben kommen. Darüber hinaus wurde die „Liga für die Menschenrechte“ verboten und deren Büros geschlossen. Und von der Weltöffentlichkeit nicht beachtet geht der Krieg im Nordosten weiter. Diese Region um die großen Seen ist alles andere als stabil. Massaker bleiben ungeklärtDie UN-Kommission, welche die Massaker an Hutu-Flüchtlingen untersuchen sollte, hat ihre Mission erfolglos abgebrochen.Sr. Brigitta: Ja. Wie es heißt, sind sie sehr verärgert abgereist. Lange Zeit habe man sie hingehalten und ihre Arbeit behindert. In Mbandaka, wo es konkrete Hinweise über Massaker gab, wurde vor Ankunft der UN-Kommission mehrere Nächte eine Ausgangssperre verhängt. Und jene, die Menschenrechtsorganisationen über die Massaker informierten, leben heute im Ausland. Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Kabila und internationalen Hilfsorganisationen?Sr. Brigitta: Es ist äußerst schlecht. Kabila wirft ihnen vor, daß sie bei Transporten von Hilfsgütern Waffen ins Land bringen. Darum ließ er im März alle privaten Landepisten im Landesinneren sperren. Das heißt, dort dürfen Flugzeuge weder starten noch landen. Das ist natürlich der Tod für das Landesinnere; sie waren in den letzten Jahren die einzigen Kontaktmöglichkeiten nach außen, denn die Straßen sind unpassierbar. Was machen Ihre Mitschwestern, die in einer Diözese mitten im Urwald leben?Sr. Brigitta: Für sie ist das eine psychische Belastung. Vor kurzem wurde dringend ein Impfstoff benötigt, um mehreren Menschen das Leben zu retten. Es dauerte eine Woche, bis Kinshasa die Landeerlaubnis erteilte. Letztlich mußte sich die Bischofskonferenz einschalten, um die Genehmigung zu erwirken. Das Flugzeug mit dem Impfstoff wurde dann von zwei Sicherheitsbeamten begleitet. Das Schiff, jetzt einzige Verbindung nach außen, braucht von Kinshasa in unsere Diözese mindestens vier Wochen.Die Weltpolitik und die Globalisierung finden heute weitgehend ohne den „schwarzen Kontinent“ statt. Gibt es dennoch eine „Hoffnung für Afrika“?Sr. Brigitta: Ja! Eine Hoffnung ist für mich seine Kultur. Und da steht Afrika ganz sicher nicht auf dem Abstellgleis. Seit Jahren entdeckt man vor allem die kulturellen und menschlichen Werte, die der Kontinent zu bieten hat. Es ist vor allem die Gemeinschaft, die einen so großen Wert besitzt. Afrika heißt: beim Menschen ansetzen. Europa geht von einer Weltsicht aus, um zum Menschen zu kommen. Die Afrikaner gehen immer zuerst von einem Menschenbild aus, um dann den ganzen Kosmos mit einzubeziehen. Im Mittelpunkt steht aber immer der Mensch. Ich denke, das ist die Hoffnung, die Afrika der Welt geben kann.Klingt da schon kongolesisches Bewußtsein mit?Sr. Brigitta: Der Kongo ist Vorreiter in der Wertschätzung der Kultur, und das kommt auch im Leben der Kirche zum Ausdruck. Eine Südafrikanerin half mir, das zu verstehen. Sie fragte mich: „Wie hätten wir je unsere Kultur schätzenlernen können, war sie doch der Grund dafür, daß wir unterdrückt wurden?“ Kulturelles SelbstbewußtseinIch glaube, Mobutu hat einiges dazu beigetragen. Er hat den Menschen ihren Stolz zurückgegeben, Afrikaner zu sein. Schauen Sie, wie stolz heute kongolesische Frauen in ihrer einheimischen Kleidung sind. Mir ist das erst in Südafrika deutlich geworden, wo fast ausschließlich europäische Gebrauchtkleidung getragen wird. Zwar werden auch im Kongo gebrauchte Kleider aus Europa verwendet, aber immer verbunden mit der Liputa. So wird jenes Stück Stoff genannt, das sich Frauen statt eines Rockes um die Hüften wickeln. Als Oberteil tragen sie eine Bluse aus dem Stoff der Liputa, falls sie das Geld dazu haben. Sonst kaufen sie sich eben eine Bluse im Gebrauchtkleidermarkt. Aber die Liputa ist für mich Ausdruck eines starken kulturellen Selbstbewußtseins, das im Kongo gelebt wirdInterview: Walter Achleitner