Lesungstexte vom 16. Sonntag im Jahreskreis, 19. Juli 1998
Evangelium, 1. Lesung, 2. Lesung und Kommentar zum Sonntag
15.07.1998 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
EvangeliumLk 10, 38–42Sie zogen zusammen weiter, und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, daß meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überläßt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.1. LesungGott erscheint Abraham in menschlicher Gestalt. Immer schon fiel der eigenartige Wechsel von einem und drei Besuchern auf, den die Kirchenväter als Hinweis auf die Dreifaltigkeit deuteten. Entsprechend der Gastfreundschaft nimmt Abraham den Fremden auf.dadurch alle in der Gemeinschaft mit Christus vollkommen zu machen.Gen 18. 1–10aDer Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre. Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang. Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen. Als er sie sah, lief er ihnen vom Zelteingang aus entgegen, warf sich zur Erde nieder und sagte: Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei! Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. Ich will einen Bissen Brot holen, und ihr könnt dann nach einer kleinen Stärkung weitergehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen. Sie erwiderten: Tu, wie du gesagt hast. Da lief Abraham eiligst ins Zelt zu Sara und rief: Schnell drei Sea feines Mehl! Rühr es an, und backe Brotfladen! Er lief weiter zum Vieh, nahm ein zartes, prächtiges Kalb und übergab es dem Jungknecht, der es schnell zubereitete. Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen. Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er. Da sprach der Herr: In einem Jahr komme ich wieder zu dir, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben.2. LesungGott ist Hoffnung, gibt Hoffnung und Zukunft für alle Lebenden. Wie ein roter Faden zieht sich diese Zusage durch das Erste (Alte) Testament. Und sie wird zum Grundthema christlicher Verkündigung.Kol 1, 24–28Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt. Ich diene der Kirche durch das Amt, das Gott mir übertragen hat, damit ich euch das Wort Gottes in seiner Fülle verkündige, jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war.Jetzt wurde es seinen Heiligen offenbart; Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis unter den Völkern ist: Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit. Ihn verkündigen wir; wir ermahnen jeden Menschen und belehren jeden mit aller Weisheit, um dadurch alle in der Gemeinschaft mit Christus vollkommen zu machen.Kommentar zum Sonntag von Klaus Egger, Generalvikar und Herausgeber der Kirchenzeitung der Diözese InnsbruckGeheimnis der GastfreundschaftAm Beginn des sogenannten Reiseberichtes (9, 51–18, 14) erzählt der Evangelist Lukas, daß Jesus nun endgültig entschieden ist, nach Jerusalem zu gehen, um dort seinen Auftrag zu vollenden. Unterwegs ist er zu Gast im Haus der beiden Schwestern Marta und Maria. Zunächst stehen Jesus und Marta im Vordergrund des Geschehens. Sie ist es, die Jesus im Haus aufnimmt, sie ist es, die sich um die Pflichten der Gastgeberin kümmert. Und dann gibt es da noch ihre Schwester Maria, die offensichtlich von ganz anderer Art ist. Sie setzt sich Jesus zu Füßen und lauscht seinen Worten. Für Marta bedeutet dieses Verhalten eine Provokation, und so fordert sie Jesus auf, ein klärendes Wort zu sprechen. Jesus nimmt diese Aufforderung an, aber nicht, um den Worten Martas Nachdruck zu verleihen, sondern um aus dem ganz unterschiedlichen Verhalten der beiden Schwestern eine Botschaft abzuleiten, die von grundlegender Bedeutung für ein Leben in seiner Nachfolge ist. Dem anderen in seinem Herzen Raum schenkenGastfreundschaft ist bei den Völkern des Vorderen Orients ein hohes, ja geradezu heiliges Gut. In Ps 23, 5 wird Gott selbst als Gastgeber gesehen, „der den Menschen den Tisch deckt“. Und so können wir mit Sicherheit ausschließen, daß die unerwartete und überraschende Antwort Jesu das Verhalten Martas, ihr Mühen um die Zubereitung des Gastmahles schlecht oder madig machen möchte. Im Gegenteil, er kann gut sehen, wie besorgt Marta ist. Er möchte jedoch mit seiner Antwort „Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, und das soll ihr nicht genommen werden“ auf eine andere Dimension von Gastfreundschaft hinweisen, die die letztlich entscheidende ist. Im Zuhören hat Maria ihrem Gast Raum in ihrem Herzen geschenkt. Und das ist die Botschaft, die Jesus aus dem Verhalten der beiden Schwestern ableitet: dem anderen einen Platz im eigenen Herzen gewähren, indem ich, auf seine Worte lauschend, ihn als Gast bei mir aufnehme. Das ist das Schönste und Tiefste an aller Gastfreundschaft, besser als alles andere, was sonst noch zu Ehren eines Gastes getan wird.In späteren Jahrhunderten wurde diese kleine Geschichte aus dem Reisebericht des Evangelisten Lukas dahingehend mißverstanden, daß man aus den Worten Jesu eine Überbewertung des beschaulichen Lebens, wie es in Ordensgemeinschaften praktiziert wurde und wird, über das aktive Leben in der Welt abgeleitet hat. Eine einseitige WirkungsgeschichteOrdenschristen wurden bis zum 2. Vatikanischen Konzil dem „Stand der Vollkommenheit“ zugeordnet, alle anderen – selbst wenn sie das Sakrament der Ehe oder auch der Priesterweihe empfangen hatten – wurden aufgrund ihrer „Weihezugehörigkeit“ als „Weltleute“ betrachtet. Gott sei Dank hat sich die Kirche von dieser Sicht wieder verabschiedet.Die Botschaft an uns heute möchte ich so formulieren: Wir dürfen beides sein, Marta und Maria. Dem anderen und dem ganz anderen, Gott, in unserem Herzen Raum geben, ist das Bessere.