Zwangsprostitution: Acht Monate durch die Hölle gegangen
Ilona* ist eine junge Frau aus Ungarn. Was sie erlebt hat, kann sie immer noch nicht richtig fassen. Es ist eine Geschichte von Täuschungen, von falschen Versprechungen, von Zwang, von Demütigungen, von Gewalt. Acht Monate lang wurde sie zur Prostitution gezwungen.
Ilona war verliebt. In Kristóf*. Er war ein Charmeur, er hat sie umgarnt, ihr gesagt, wie schön sie ist und wie sehr er sie liebt. Drei Monate, nachdem sie sich kennengelernt hatten, fingen sie an, Pläne zu schmieden: Eine gemeinsame Zukunft aufbauen, heiraten, Hochzeitsreise nach Griechenland, Kinder kriegen. Da beide weder Arbeit noch Geld hatten, schlug Kristóf vor, nach Deutschland zu gehen und sich dort in der Baubranche selbständig zu machen. Da könne man gut Geld verdienen, denn es kommen immer wieder Arbeiter aus Ungarn nach Deutschland, um dort am Bau zu schuften. Er wisse das von einem Bekannten, der das auch gemacht hat. Da Ilona gut deutsch spricht, könne sie das Büro managen, hat er gemeint. Also brachen sie ihre Zelte in Ungarn ab.
Schock: Sie soll sich an Männer verkaufen
„Es ging alles sehr schnell und wir kamen bei Kristófs Bekannten und seiner Freundin unter“, erzählt Ilona. Er erklärte ihr dann, bevor sie mit der Planung der Firma weitermachen können, müssten noch einige Dinge abgesprochen werden; das würde etwa zwei, drei Wochen dauern. Da sie Geld brauchten, nahm Ilona das Angebot der Freundin von Kristófs Bekannten an, zur Überbrückung so wie sie als Kellnerin zu arbeiten. „Also fuhr sie mit mir dorthin und als wir ankamen, hatte ich schon ein komisches Gefühl. Es war eine Bar, die in rotes, schummriges Licht gehüllt war und ausschließlich männliche Gäste waren anwesend. Wir gingen dann mit einem Freier in ein Zimmer und sie zeigte mir, was ich tun muss.“ Ilona war schockiert. Für sie war klar, sie kann und will sich nicht an Männer verkaufen – auf keinen Fall. Als sie Kristóf das mitteilte, wurde sein Ton plötzlich rau und es gab erstmals Schläge. „Er sagte, ich muss das probieren, nur drei Wochen lang – dann hätten wir Geld. Später entschuldigte er sich bei mir dafür, dass er mich geschlagen hatte und machte mir weis, dass er mich anbetet. Ich war blind vor Liebe und hab ihm das geglaubt. Also machte ich, was er wollte.“
Acht Monate Martyrium
Am ersten Tag musste Ilona mit elf Männern zusammensein und wurde von einem zum anderen weitergereicht. „Das war ein Party-Treff, bei dem sie ihren Spaß hatten. Bezahlt wurden 150 Euro fix – egal wie viele von ihnen mich wollten und wie oft sie es wollten, ich musste ihnen zur Verfügung stehen. Als es vorbei war, konnte ich nur noch weinen.“ Kristóf holte sie ab und mehr und mehr kam der Zuhälter in ihm zum Vorschein. Er nahm ihr den Pass weg und ihr Handy und sie hatte plötzlich keine Möglichkeit mehr, mit jemanden Kontakt aufzunehmen. „Ich war gefangen. Er beschwichtigte mich und sagte, ich müsse das nicht mehr lange machen. Doch aus einem Tag wurde eine Woche und schließlich acht Monate.“ Ein Martyrium.
Bestrafung
Nach ein paar Tagen war Ilona sowohl seelisch als auch körperlich am Ende. Sie hatte keine Kraft mehr. Um sie gefügig zu machen, wurde sie von nun an mit Drogen vollgepumpt. Jeden Tag. Sie wollte weglaufen, hatte jedoch keine Chance, erzählt Ilona. Rund um die Uhr wurde sie bewacht – abwechselnd von zwei Männern und einer Frau – ihre Security. „Ich war keine fünf Minuten allein, höchstens auf der Toilette. Ich musste u. a. im Hotel für private Kunden arbeiten. Meine Zuhälter brachten mich hin, standen vor der Tür bis ich fertig war, nahmen mir das Geld ab und brachten mich wieder zurück in die Wohnung, wo sie mich gefangen hielten.“ Wenn Ilona sich weigerte zu arbeiten, wurde sie bestraft. Der Mann, in den sie so verliebt war, hat sie dann geschlagen, mit Füßen durchs Zimmer getreten, ihr die Axt an den Hals gesetzt und sie verletzt und sie brutal vergewaltigt. Immer wieder. Dazu kam, dass er sie ständig unter Druck setzte. Für diesen Mann hatte Ilona damals ihren Sohn und ihren Freund verlassen. „Er hat mich bedroht und gesagt, er wisse, wo mein Sohn ist und wo meine Familie lebt und er wird ihnen etwas antun, wenn ich nicht das tu, was er von mir verlangt. Ich hatte große Angst vor ihm. Er entpuppte sich als Psychopath.“
Befreiung
In einem Moment der Unaufmerksamkeit der Zuhälter gelang es Ilona, sich Zugang zum Internet zu verschaffen und Kontakt zu ihrem Ex-Freund aufzunehmen. Er verständigte ihre Eltern in Ungarn, die schließlich zur Polizei gingen und Anzeige erstatteten. „Als mein Zuhälter davon Wind bekam, war das eine Katastrophe. Ich dachte schon, ich werde sterben. Also sagte ich, dass ich alles mache, was er will, weil ich ihn so liebe und es täte mir leid. Ich versprach ihm, das wiedergutzumachen. Aber dafür müsse ich nach Ungarn fahren, nur so könne ich dafür sorgen, dass die Anzeige widerrufen wird. Danach käme ich sofort zu ihm zurück. Er hat mir das geglaubt. Das war mein Glück. So kam ich frei. Und blieb in Österreich.“
Anzeigen
Ilona hat ihre drei Peiniger angezeigt. Die Frau saß dafür bereits zwei Jahre im Gefängnis. Die beiden anderen sind noch auf freiem Fuß. Wie Ilona erfahren hatte, handelt es sich um eine große ungarische Bande, die zum Teil miteinander verwandt ist und Kontakte nach Deutschland, Frankreich, England, Spanien und in die Schweiz hat. Kristóf, der wegen Mordes schon einmal in Haft war, wird per Interpol gesucht. „Ich habe Angst, dass er eines Tages vor mir steht und mich tötet. Ich hoffe, dass sie ihn finden, damit ich dieses Kapitel endlich abschließen kann.“
Neubeginn
Ilona ist auf dem Weg, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Hilfe bekam sie dabei eine Zeit lang auch von „SOLWODI Österreich“. Nun versucht sie, auf eigenen Beinen zu stehen. Die junge Frau hat sich wieder verliebt, wurde schwanger und bekam eine Tochter. „Sie ist mein Sonnenschein und sie gibt mir Kraft, nach vorne zu blicken.“ Mittlerweile kann Ilona über das Erlebte sprechen, ohne ständig Weinkrämpfe zu bekommen. Vergessen wird sie dieses Drama nie.
Zur Sache
Hilfe für Opfer von Menschenhandel
Weltweit sind laut Schätzungen rund 35 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel. Neben Zwangsarbeit und Organhandel zählt zu 79 Prozent der Frauenhandel zum Zweck von Zwangsprostitution dazu. Eine Taktik, junge Frauen zu fangen, ist die „Loverboy-Methode“. Dabei wird ihnen von so genannten „Loverboys“ Liebe vorgegaukelt. Mit der Aussicht auf ein besseres Leben lockt man sie in ein anderes Land und zwingt sie dort zur Prostitution (siehe Reportage).
Auch in Österreich ist Frauenhandel ein Thema. „Man geht davon aus, dass 85 Prozent der 7000 Prostituierten im Land Ausländerinnen sind. Sie kommen meist aus zerrütteten Lebensverhältnissen, verbunden mit Armut, Gewalt, Alkohol und psychischen Krankheiten“, sagt Sr. Anna Mayrhofer. Als Mitglied der Initiative „SOLWODI Österreich – Solidarität mit Frauen in Not“ leitet die Franziskanerin seit 2012 in Wien eine Schutzwohnung für Frauen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind. SOLWODI ist ein international tätiger Verein, der 1985 von der Deutschen Sr. Lea Ackermann gegründet wurde. Insgesamt wohnen derzeit acht Frauen aus Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Ungarn, Slowakei und Nigeria in der Schutzwohnung. Sie finden hier Sicherheit, Beratung, Begleitung und finanzielle Hilfe.