Immer mehr Menschen beschäftigt die Frage, wie man Tiere moralisch richtig behandeln soll. Manche vertreten Positionen, bei denen die Unterschiede zwischen Tier und Mensch verwischt werden. In seinem neuen Buch „Der Mensch und das liebe Vieh“ hält der Brixener Moraltheologe Martin M. Lintner diese Unterschiede aufrecht, unterstreicht aber auch Ähnlichkeiten und plädiert für einen viel sensibleren Umgang mit Tieren.
Ausgabe: 2017/26
27.06.2017 - Heinz Niederleitner
In Syrien herrscht Krieg und zu den Menschenrechtsverletzungen in Europa gehört der Menschenhandel. Ist es da nicht ein Luxusthema, über Befindlichkeiten von Tieren nachzudenken?Martin Lintner: Natürlich muss man Prioritäten setzen und es gilt das Argument, dass die Tierliebe nicht auf Kosten der Menschenliebe gehen darf. Es gibt aber zwei Punkte zu bedenken: Erstens kann man Tier- und Menschenliebe nicht so einfach voneinander trennen, weil es in beiden Fällen um Wertschätzung des Lebens geht. Zweitens leben viele in engem Kontakt mit Tieren und fast alle konsumieren täglich tierische Produkte. Insofern stellt sich die Frage des ethisch richtigen Umgangs mit Tieren ständig.
In Ihrem Buch zitieren Sie den Grundsatz, man müsse Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Was bedeutet das in Bezug auf Tiere?Lintner: Zwischen uns Menschen und manchen Tierarten gibt es verblüffende Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Daraus muss die Sensibilität erwachsen, dass Menschen und Tiere in einer Schicksalsgemeinschaft stehen. Es gibt aber auch Unterschiede. Der Mensch ist nämlich moralfähig, weshalb er verantwortlich für sein Handeln ist. Insofern sein Handeln Tiere und ihre Lebensqualität betrifft, hat er dafür Verantwortung zu übernehmen, und zwar so, dass er ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten berücksichtigt. Diese sind allerdings sehr unterschiedlich. Ich vertrete deshalb einen abgestuften Tierschutz. Es macht einen Unterschied, ob ich es mit einer Mücke zu tun habe, mit einem leidensfähigen Tier oder einem, das kognitive Fähigkeiten und vielleicht sogar Ansätze zu einem Selbstbewusstsein hat.
Bedeutet das also, es macht einen Unterschied, ob ein Menschenaffe getötet wird oder ein Jäger ein Reh im Wald erlegt?Lintner: Ja. Ich bin überzeugt, dass das Tötungsverbot auf Tiere ausgedehnt werden sollte, bei denen wir davon ausgehen müssen, dass sie ein rudimentäres Selbstbewusstsein, eine Form der Wahrnehmung des eigenen Lebens und ein Lebensinteresse haben. Das ist bei Menschenaffen der Fall oder bei Delfinen. Manches weist darauf hin, dass auch die Schweine dazugehören. Sie erkennen sich zum Beispiel im Spiegel und entwickeln Todesangst, wenn sie Schweineblut riechen. Das bedeutet, dass wir über unseren Umgang mit Schweinen diskutieren müssen.
Würde Sie so weit gehen wie manche Tierschützer und das Schlachten generell ablehnen?Lintner: Nein. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass jede Schlachtung bedeutet, das Leben eines Tieres zu zerstören, obwohl jedes Leben grundsätzlich zu bejahen ist. Dieser Gedanke ist heute vielfach untergegangen, vielleicht weil das Schlachten nicht mehr vor unseren Augen stattfindet. Ein Jäger etwa, der dem erlegten Reh den Bruch als letzten Bissen in den Äser legt, zeigt dem Tier gegenüber noch rituell Achtung. Uns muss bewusst sein, dass jedes Stück Fleisch, Speck oder Wurst aus einem Tötungsakt resultiert. Mindestanforderung an jedes Schlachten ist, dass es für das Tier stress- und schmerzfrei geschieht.
Worauf sollte der Konsument angesichts dessen beim Fleischeinkauf achten?Lintner: Erstens muss er sich fragen, ob das geschlachtete Tier ein seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechendes Leben führen konnte und der Schlachtvorgang möglichst stress- und schmerzfrei war. Zweitens ist die ökologisch und sozial verträgliche Tierhaltung zu beachten: Wird das Tier mit natürlichen Nahrungsmitteln gefüttert? Wo wurde das Futter angebaut – zum Beispiel in Brasilien zum Schaden des dortigen Ökosystems und auf Kosten der dortigen Kleinbauern? Drittens gilt die Aufmerksamkeit den Viehbauern: Bekommen sie ausreichende Erträge und Löhne aus ihrer Arbeit, die auch eine artgerechte Tierhaltung ermöglichen? Kennzeichnungen können den Konsumenten bei der Berücksichtigung dieser Aspekte helfen. Die Herkunft des Fleisches sollte so regional wie möglich sein. Bei Fleisch mit langen Transportwegen ist der Energieverbrauch für die Kühlkette enorm. Wir sollten weniger, dafür besseres Fleisch konsumieren. Das ist natürlich teurer. Jeder kann sich fragen: Was kann und will ich mir leisten?
Man muss Tiere nicht töten, um tierische Produkte wie Milch, Wolle oder Eier nutzen zu können. Was ist dabei außer der Haltung entsprechend den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Tiere noch zu beachten?Lintner: Ein wichtiger Aspekt ist, die Tiere nicht derart zu „optimieren“, dass sie zwar höchst leistungsfähig sind, sich aber während ihres Lebens nicht mehr wohlfühlen. Denken wir etwa an Kühe mit übergroßen Eutern, die kaum mehr stehen können. Manche Tiere werden körperlich derart ausgebeutet, dass sie viel zu früh sterben. Der Eigenwert eines jeden Tieres übersteigt seinen Nutzwert bei Weitem.
Haustiere werden zwar meist gut behandelt, dafür aber oft unnatürlich vermenschlicht. Bringt nicht auch das eine Gefahr?Lintner: Grundsätzlich sehe ich es positiv, wenn Tiere für Menschen eine wichtige Rolle spielen: in einer Familie, für Alleinstehende oder solche, die sich mit sozialen Kontakten schwertun. Natürlich besteht die Gefahr, dass Tiere vermenschlicht werden. Tiere können nie Erwartungen erfüllen, die wir an einen Menschen richten. Wir dürfen sie in diesen Sinn nicht überfordern.
Gerade bei Haustieren scheint der Unterschied zwischen Tier und Mensch auch aus einem anderen Grund wichtig zu sein, nämlich wenn es um das Einschläfern geht. Euthanasie lehnt die Kirche beim Menschen ja ab.
Lintner: Deshalb ist es mir wichtig, die Mensch-Tier-Differenz zu wahren – auch bei Tieren, auf die man das Tötungsverbot ausdehnen sollte. Beim Menschen ist von Würde, beim Tier von Eigenwert zu sprechen. Das Einschläfern hat übrigens einen anderen Zweck als das Töten, um ein Tier für menschliche Zwecke zu verwerten. Hier geht es darum, dem Tier Leid zu ersparen. «
Zur Sache
Verantwortung für Tiere
„Unterwerft Euch die Erde und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“ Diesen oft missverstandenen Bibelvers (Genesis 1,28) führt Martin Lintner in seinem Buch „Der Mensch und das liebe Vieh“ mit der Moralfähigkeit des Menschen zusammen: „Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das bei seinem Verhalten gegenüber anderen nachdenken kann, ob es zerstörerisch oder heilsam ist. Daraus resultiert der Auftrag, nicht zerstörerisch zu sein. Wenn in der Bibel von ‚Unterwerfung‘ die Rede ist, ist eben genau gemeint, dass man den Unterlegenen eben nicht zerstören darf, sondern für ihn Sorge zu tragen hat“, sagt der Moraltheologe im Gespräch.
Eigenwert. In seinem Buch werden die verschiedensten Beziehungen des Menschen zu den Tieren aus moralischer Sicht thematisiert: Haus- und Nutztierhaltung, Jagd, aber auch Tierversuche, Zirkus- und Zootierhaltung. Wichtig ist Lintner, dass der Mensch den Bedürfnissen und Fähigkeiten der einzelnen Tiergattungen gerecht wird. Außerdem dürfen Tiere nicht auf ihren Nutzen für den Menschen reduziert werden: „Ein Tier hat einen Eigenwert jenseits des Nutzens für den Menschen“, sagt der Südtiroler Theologe.
- Martin M. Linter: Der Mensch und das liebe Vieh. Ethische Fragen im Umgang mit Tieren. Mit Beiträgen von Christoph C. Amor und Markus Moling. Tyrolia-Verlag, 294 Seiten, ISBN 978-3-7022-3634-2. € 21,95