Kinder, Kinder. Überall in Uganda sieht man Kinder. Knapp 40 Millionen Einwohner zählt der ostafrikanische Binnenstaat am Äquator, die Hälfte davon sind jünger als 14 Jahre. Das Durchschnittsalter liegt bei 15,5 Jahren – und nur 2,5 Prozent sind älter als 65. Welch gewaltiger Unterschied zum „alten“ Europa. Und welch gewaltige Herausforderung. In Ländern wie Uganda wird die Frage nach dem Weg in die Zukunft gelöst – oder versäumt.
Ausgabe: 2017/26
27.06.2017 - Matthäus Fellinger
Dass Uganda trotz der gewaltigen Herausforderung eine Entwicklung zum Guten findet, ist auch Anliegen von SEI SO FREI, dem entwicklungspolitischen Arm der Katholischen Männerbewegung in der Diözese Linz. Franz Hehenberger und Ruth Lummerstorfer besuchten letzte Woche ihre Partnerorganisation, die „Ripple-Foundation“, um die Zusammenarbeit weiter zu planen. Die KirchenZeitung war mit dabei. In der erst 1989 gegründeten Diözese Kasese an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo wurde diese Zusammenarbeit schon unter den Bischöfen Maximilian Aichern und dem damaligen ersten Bischof Egidio Nkaijanabwo begonnen. Die Bevölkerungszahl Ugandas hat sich seither verdoppelt.
Überfüllte Klassen
Da stehen wir also in einer Schulklasse. 167 Kinder sind heute da. Großteils sitzen sie auf dem nackten Lehmboden. Bänke gibt es in dieser Klasse keine. Für den Lehrer bleibt nur ein schmaler Streifen vor der Tafel. Tisch hat auch er keinen. In anderen Klassen sitzt ein Teil der Kinder in Bänken, dicht gedrängt. Wie soll man da schreiben? Ein halber Bleistift oder ein Kugelschreiber, ein einziges Heft. Das ist alles, was sie an Schulsachen haben. Bei größeren Kindern sind es ein paar Schreibhefte. Ein Plastiksackerl dient als Schultasche. Die Schulen sind überfüllt in Uganda. Dabei kommen viele gar nicht in die Schule. In den höheren Klassen ist oft genug Platz zum Sitzen, aber die Kinder sind nicht da. Sie arbeiten daheim auf den Feldern oder am Markt im Dorf, um die Früchte der Felder zu verkaufen. Doch die Kinder Ugandas müssen ausgebildet werden – möglichst gut. Von ihnen wird viel abhängen, für sie selbst, für den Frieden. Für Franz Hehenberger reicht es nicht, nur Geld nach Afrika zu schicken, neue Schulen zu bauen und schönere Klassenzimmer. Ein Umdenken ist nötig. Der Klimawandel trifft das Land. Man kann sich nicht mehr auf den Regen verlassen. Die alten Traditionen reichen nicht mehr aus, sie behindern oft sogar die Entwicklung.
Die Korruption
Bei den Begegnungen mit Eltern, den für die Schulen viel zu wenigen Lehrerinnen und Lehrern spricht Hehenberger es an: Die Probleme müssen benannt werden. Die Menschen müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die weit verbreitete Korruption im Land muss ins Visier genommen werden. Es verschwindet viel zu viel Geld. Auch über das Thema Familienplanung spricht Hehenberger. Das ist für viele ein Tabu, vor allem für die Männer. Manche lächeln milde bei diesem Thema. Andere werden nachdenklich. Wenn Mädchen, statt in die Schule zu gehen, als Kinder verheiratet werden, ist ihr Weg vorgezeichnet. Sie werden in Abhängigkeit und Armut bleiben.
Eine Schuleröffnung
In einem der Dörfer wird heute ein von SEI SO FREI finanzierter Schulbau mit drei Klassen eröffnet. Ein großes Fest ist das. Selbst die Staatsministerin für die Primarschulen in Uganda, Nansubuga Rosemary Seninde hat den achtstündigen mühsamen Weg aus der Hauptstadt Kampala hierher nicht gescheut. SEI SO FREI unterstützt nur Projekte, wenn auch der Staat etwas beiträgt. Für diese Schule baut der Staat die Toilettenanlage und gibt eine Betrag für Schulbücher und Hefte. Eigentlich müsste der Staat dafür sorgen, dass seine eigenen Vorgaben – Schülerhöchstzahl 55 pro Klasse – eingehalten werden können. Aber das ist nicht der Fall. Hehenberger drängt darauf. Die Ministerin erklärt es mit den vielen Schulen im Land. Nur schrittweise wäre eine Verbesserung möglich.
Meldet euch, sagte Hehenberger immer wieder den Leitungs- und Lehrkräften an den Schulen, denn eigentlich wäre Uganda ein reiches Land. Diese glauben, selbst dafür verantwortlich zu sein. So war es immer gewesen. Die Elite bediente sich, und man hoffte auf Spenden aus dem Ausland.
In einem anderen Dorf werden vier Klassen eröffnet. Auch hier hat der Staat ein Gebäude mit zwei Klassen finanziert. Es steht fertig da, nur die Einrichtung fehlt noch. Der Direktor hat nicht einmal einen Schlüssel bekommen.
Einfach leben
Von Uganda kann man lernen. Von den Menschen nämlich, die unter einfachsten Verhältnissen leben. Er weiß nicht genau, wie alt er ist, sagt Bwambale Simedn. Er glaubt, es wären wohl 90 Jahre. In den Bergen wurde er geboren, ist dann herabgezogen ins flachere Land, als er Mary geheiratet hat. Sie ist jetzt 76. Ein Baby trägt sie im Tuch auf dem Rücken, ein zweites Kind vorne an der Brust. Es sind Enkelkinder. Simedn knüpft Teppiche aus Bambusfasern. Etwa fünf Zentimeter breite fein geknüpfte Streifen werden am Ende zu einem vier mal sechs Meter großen Teppich vernäht. Einen Monat braucht er für eine Teppich. 20.000 Schillinge wird er für den Teppich bekommen. Fünf Euro sind das. Ein wichtiges Zusatzeinkommen, denn zwei von ihren Männern verlassene Töchter und eine verwitwete dritte Tochter sind zurückgekehrt und leben im kleinen Lehmbau. Sie haben hier nichts als sich selbst – und die Früchte, die auf ihrem Feld wachsen. Herrliche Früchte sind das. Bananen vor allem, Kaffeesträucher, Kakao, Bohnen, Süßkartoffeln und Mais. Die Töchter bringen die Sachen zum Markt, wie es viele hier im Grenzdorf tun. Weil ein starker Regen kommt, bitten die beiden Alten die Gäste ins Haus. Ihre Freude ist groß, die Gäste empfangen zu dürfen, und Mary zeigt stolz den gemauerten Herd, den sie aus einer SEI-SO-FREI-Aktion bekommen hat.
Da sind wir bei einer anderen Familie zu Gast. Die beiden älteren Kinder sind in
einem Internat untergebracht, das von der Ripple Foundation, der Partnerorganisation von SEI SO FREI, geführt wird. Je zwölf Mädchen in einem Raum leben dort. Hier werden sie eine bessere Ausbildung bekommen. Der Weg in die Schule würde für sie vier Stunden bedeuten, und die Wege sind gefährlich, vor allem für Mädchen. Männer betrachten sie oft als Freiwild. Für die weiteren vier Kinder kann sich die Familie das Internat nicht leisten.
Basaliza Ithungu Florence ist zusammen mit Assistentin Sophia die „starke Frau“ der Ripple Foundation. Sie hat sich Achtung erworben. Das ist wichtig, wenn etwas werden soll. Ein Projekt ist erst dann fertig, wenn es ohne fremde Hilfe läuft. «