Die Deckelung der Mindestsicherung nun auch in Oberösterreich und die ersten Wahlkampf-Vorboten, bei denen stark von Einsparungen die Rede ist, richten den Blick auf den Sozialstaat. Ist es jetzt also an der Zeit, die Sozialleistungen in Österreich zu hinterfragen und mehr den Leistungsansporn zu betonen? Ein Pro und Contra.
Ja, Sozialleistungen sollen hinterfragt werden. Gleichzeitig soll Österreich ein Sozialstaat bleiben; die Frage ist, wie er im Detail auszugestalten ist. Das System aus Notstandshilfe und der relativ neuen Mindestsicherung etwa erfüllt die gewollte Funktion als Überbrückungshilfe zurück in den Arbeitsmarkt kaum. Hier ist nachzuschärfen: Nicht Länder, Bund und Arbeitsmarktservice (AMS) sollen zuständig sein, sondern allein das AMS, das so Arbeitsfähige und Jobs besser zusammenführen kann. Denn wie sozial ist es, Menschen dauerhaft mit Geld zu unterstützen, ohne ihnen bestmöglich zu jener Würde zu verhelfen, die Arbeit verleiht?
Solidarisch sein. Österreichs Steuersystem ist progressiv, Reiche zahlen auch prozentuell mehr an Steuer. Das ist gelebte Solidarität; die Leistungsfähigeren tragen mehr zur Hilfe für Menschen in Not bei. Solidarisch wäre auch ein arbeitsloser Wiener Koch, der eine (Saison-)Stelle in Tirol annimmt. Das muss er nicht – er kann im Ernstfall auf Dauer von der Notstandshilfe oder Mindestsicherung leben. Aber wie sozial und solidarisch ist es, Leistungen in Anspruch zu nehmen, bloß weil es sie gibt? Diese Frage aufzuwerfen, sollte nicht gleich mit dem Argument abgeschmettert werden, hier würden Menschen gegeneinander ausgespielt. Der Aspekt „gesellschaftlicher Zusammenhalt“ ist auch von dieser Seite her zu betrachten. Die Diskussion um Sozialleistungen wird meist anhand der Kosten-Frage geführt. Diese ist nicht bedeutungslos. Zentral ist aber der Punkt, dass Sozialleistungen so oft wie möglich helfen sollten, Menschen zu ermächtigen, ihr Leben wieder aus eigener Kraft zu meistern. Das ist derzeit nicht der Fall. Am Schluss sei erwähnt: In Österreich ist die Zahl der Armutsgefährdeten zuletzt leicht gesunken und der Betrag, der die Schwelle definiert, leicht gestiegen. Hier ist der Sozialstaat in der richtigen Richtung unterwegs.
Mag. Michael Christl MSc ist Ökonom und Projektleiter bei der Denkfabrik Agenda Austria in Wien.
Contra: Weiter am sozialen Ausgleich bauen
„Die Kirchen treten ein für einen aktiven Sozialstaat, der unersetzlich ist, um sozialen Risiken, wie Verarmung und Ausgrenzung, entgegenzuwirken.“ Diese zentrale Aussage findet sich im Sozialwort der christlichen Kirchen in Österreich. Dahinter steht die Erkenntnis, dass soziale Sicherheit die Gesellschaft nicht arm macht, sondern sich soziale Investitionen wirtschaftlich positiv auswirken und den sozialen Zusammenhalt stärken. Gute Schulen, ein allen zugängliches Gesundheitssystem und gut funktionierende Infrastruktur bilden die Grundlagen einer erfolgreichen Volkswirtschaft. Das Umlagesystem unserer Pensionen ist wesentlich sicherer als private Vorsorge, die vom Kapitalmarkt und den Börsen abhängig ist. Ohne unseren Sozialstaat, so sagen uns die Fachleute, wären über 40 Prozent der Menschen in Österreich armutsgefährdet. Übrigens spielt die häufig erwähnte Mindestsicherung mit anteilsmäßig ca. 0,7 Prozent der gesamten Sozialausgaben in Österreich finanziell eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig sichert dieselbe jeder einzelnen betroffenen Familie und ihren Kindern das tägliche Brot.
Gut ausgebauter Sozialstaat. Eine Politik, die sich gegen die Schwächsten richtet, stößt immer mehr Christ/innen sauer auf. Sie wollen am bewährten sozialen Ausgleich weiter bauen. Daher gibt es jetzt die ökumenische Initiative „Christlich geht anders“. Aus dem Glauben heraus will sie Mut und Hoffnung machen, und die gemeinsame Suche nach solidarischen Lösungen für die sozialen Fragen vorantreiben. Angesichts von Ungleichheit und Ausgrenzung braucht es nicht das Infragestellen von Sozialleistungen. Mehr denn je benötigen wir einen aktiven, gut ausgebauten Sozialstaat, damit die Werte von Individualität und Freiheit nicht nur ein Privileg der Einkommensstarken und Vermögenden sind, sondern allen Menschen zukommen.
Mag. Gabriele Kienesberger ist Theologin und koordiniert als Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs die Initiative „Christlich geht anders“.