Ende Juni steht der große Tag für Jafar an. Dann wird der junge Afghane die Prüfung für den Pflichtschulabschluss machen. Wenn er das schafft, steht der nächste Schritt an: eine Lehre als KFZ-Techniker oder Betriebslogistikkaufmann. Das könnte sich der 17-Jährige gut vorstellen. Er hat ein intensives Jahr hinter sich, 35 Stunden pro Woche Unterricht, Schwerpunkt Deutsch. Mittlerweile schafft er es, schwierige Texte in Büchern oder Zeitungen zu erarbeiten oder in Mathematik binomische Formeln zu rechnen. Jafar und seine Mitschüler/innen zeichnen sich durch besonderen Fleiß- und Bildungshunger aus, findet seine Lehrerin Evelyn Jäger. 14 Burschen und zwei Mädchen, die meisten aus Syrien und Afghanistan, haben im Herbst mit der Übergangsklasse des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums und Oberstufenrealgymnasiums der Franziskanerinnen in Wels gestartet. Die wenigsten haben jedoch einen positiven Asylbescheid in der Tasche. „Sie befinden sich in einer Art Schwebezustand“, formuliert es Jäger.
Über die Schulpflicht hinaus
Die Übergangsklasse ermöglicht es den 16 bis 19-jährigen, über das Alter der Schulpflicht hinaus im Gymnasium zu lernen. Neben den Lehrkräften stehen ihren 32 gleichaltrige Schüler/innen dafür zur Seite.
Die meisten der Flüchtlinge hatten in der Heimat bei Weitem keine lückenlose Schulbiografie, müssen am WRG/ORG Wels viel nachholen. „Zuhause im Flüchtlingsheim und ohne Schule war mir vor diesem Jahr oft richtig fad und ich konnte wenig tun“, ist der 17-jährige Arash froh über seine Chance auf Bildung. In Afghanistan hat er als Verkäufer gearbeitet, in Österreich möchte er gerne eine Lehre als Maschinenbautechniker machen. Er lebt in einem kleinen Ort im Almtal und pendelt jeden Tag eine Stunde nach Wels in die Schule.
Die Chance in Mangelberufen
Innerhalb eines Schuljahres sollen in der Klasse von Jafar und Arash die Voraussetzungen für den Übergang in eine höhere Schule oder in einen Lehrberuf geschaffen werden. 55 jugendliche Flüchtlinge kamen im Herbst zum Aufnahmetest für die Übergangsklasse, 16 wurden aufgenommen.
„Wir haben uns gefragt, welchen Beitrag wir als Schule zur Integration leisten können. Wir können vieles, aber nicht alles machen“, sagt Schuldirektor Georg König, der sich um die Berufsorientierung der Flüchtlinge kümmert: „Wir versuchen eine realistische Perspektive zu entwickeln“, sagt König. Denn nur in „Mangelberufen“ können Asylwerber in Österreich eine Lehre beginnen. Begonnen hat das Engagement des WRG/ORG Wels schon früher im Schuljahr 2014/15 mit ersten Anfragen, ob geflüchtete, unbegleitete Jugendliche aus Kriegsgebieten am Unterricht teilnehmen könnten. Ein Team der Lehrkräfte organisierte einen zehnstündigen Deutschkurs für eine Sprachstartklasse. Sie verwendeten dafür ihre Freistunden und unterrichteten ehrenamtlich.
Man könnten auch so sagen: Das Welser Gymnasium hat weit schneller auf die Herausforderung Integration reagiert als es die Politik tat, die lange Zeit brauchte um eine Lösung für die über 15-jährigen Flüchtlinge zu finden. Erst seit vergangenem Herbst gibt es mit den Übergangsklassen ein Modell, das tatsächlich mit Mitteln vom Bund finanziert wird. Auch die Sprachstartklasse ist erst seit heuer mit öffentlichen Mitteln dotiert. «
Was sind Übergangsklassen?
Das Gesetz hatte Flüchtlingskindern ein freiwilliges zehntes Pflichtschuljahr verboten. Die „Übergangsklassen“ schaffen seit Herbst 2016 Abhilfe.
Die Klassen zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses befinden sich vorwiegend in Berufsbildenden Höheren Schulen, aber auch in Gymnasien. Finanziert werden die Übergangsklassen aus dem „Integrationstopf“ des Bildungsministeriums.