Krank sein ist nicht leicht, schon gar nicht im Krankenhaus. Schmerzen, Traurigkeit oder einfach Langeweile lassen die Zeit nur langsam vergehen. Bücher können da helfen. Tanja Radlmüller und ihr ehrenamtliches Team bringen sie bis ans Krankenbett.
Ausgabe: 22/2017
30.05.2017 - Christine Grüll
Pauline Pühringer öffnet die Tür und geht hinein ins Zimmer. Auf dem Krankenbett liegt ein kleiner Bub. Seine Hand ist verbunden. Ein Schlauch hängt dran. Der Bub starrt vor sich hin. Da sagt Frau Pühringer einen magischen Satz: „Möchtest du ein Buch?“ Dann geht alles ganz schnell. „Ja!“, ruft der Bub und setzt sich gleichzeitig auf. Seine Augen leuchten. Frau Pühringer eilt zurück auf den Gang, wo der Bücherwagen steht. Im Nu hat sie drei Bücher ausgesucht, mit Bildern von Baggern und Lastwagen. Die legt sie dem Buben auf das Bett. Während er eifrig zu blättern beginnt, schließt Pauline Pühringer leise die Tür.
Bücher von Deutsch bis Arabisch
Der Bücherwagen steht auf dem Gang der Onkologie am Med Campus IV der Linzer Kepler-Uniklinik. Von der Decke baumeln Papierblumen und Schmetterlinge. Hier werden Kinder behandelt, die einen Tumor haben oder Leukämie. Jeden Dienstag und Donnerstag wird der Wagen durch diese und andere Stationen gerollt. Heute sind Pauline Pühringer und Ingrid Gratz damit unterwegs. Sie sind beide in Pension. Seit vier Jahren suchen sie aus Hunderten von Büchern die passenden aus. Vom Pappbuch für Einjährige bis zum Krimi für die Eltern. Bücher auf Russisch, Arabisch, Spanisch und Deutsch, das alles führt der Wagen mit sich. Das Weinen eines Kindes dringt aus einem Zimmer. Eine Mutter wandert mit dem Kinderwagen auf und ab. Krankenschwestern eilen lächelnd vorbei, als Pauline Pühringer gerade wieder aus einem Zimmer kommt. Diesmal muss sie kein Buch aussuchen. Die Mutter, mit der sie gerade gesprochen hat, wollte keines. Ihre Tochter sei erst zwei Jahre alt, hat sie gesagt. Auch das kommt vor. „Manchmal sitzen schon Kleinkinder mit den Tablets im Bett“, sagt Ingrid Gratz: „Aber wenn ich ihnen ein Buch gebe, greifen sie sofort danach.“ Das freut sie.
Eine Oase im Krankenhaus
Zwei Stockwerke unter der Onkologie liegt der Stützpunkt des Bücherwagens, die Bücherei. „Sie ist eine Oase im Krankenhaus“, sagt Tanja Radlmüller. Seit eineinhalb Jahren leitet sie die Bücherei. Sie sorgt nicht nur für Neuerscheinungen in den Regalen, in denen bis jetzt 6000 Bücher stehen. Die sogenannte Heilstättenschule ist einmal pro Woche zu Besuch in der Bücherei. Dann arbeiten die Kinder, die im Krankenhaus unterrichtet werden, mit Tanja Radlmüller. Sie weiß auch, was den Jugendlichen aus der Psychiatrie Spaß macht. Letztens hat sie sie kleine Zettel in Gedichtbände kleben und die so markierten Reime vorlesen lassen – Lachen hat einen Platz in dieser Oase. Und dann ist da noch das Team der Ehrenamtlichen. Fast 30 koordiniert Tanja Radlmüller. Sie teilen sich die Besuche bei den Kindern und auf der Gynäkologie. Die meisten der kleinen Patient/innen verlassen das Krankenhaus nach kurzer Zeit. Manche bleiben länger. Tanja Radlmüller spielt mit ihnen Memory, bastelt oder liest vor. Dann wird die Geschichte gemeinsam besprochen. „Die Ablenkung ist heilsam“, sagt sie: „Am wichtigsten ist das Gespräch. Wir interessieren uns für die Menschen, nicht für ihre Krankheit.“ Inmitten des kurz getakteten Krankenhausbetriebs fordert sie nichts von den Patienten. Sie will etwas geben. Das kommt gut an.
Frischer Geist
Einige Betten auf der Onkologie sind leer. Die Kinder sind bei Untersuchungen oder werden gerade operiert. Pauline Pühringer und Ingrid Gratz legen Zettel in die Zimmer. Die „Bücher auf Rädern“ waren da, ist darauf zu lesen. Und dass die Kinder gerne in der Bücherei erwartet werden. Seit mehr als 30 Jahren rollt diese besondere Bücherei. Das Angebot wird vom Klinikum, von der evangelischen Superintendentur A. B. und der Diözese Linz finanziert. Mehr als 12.000 Bücher haben im vergangenen Jahr getröstet, neue Blickwinkel geöffnet oder einfach die Zeit im Krankenhaus verkürzt. Der Bücherwagen und seine Begleiterinnen bringen jedenfalls frischen Geist in die Gänge. „Mama, schau!“, ruft der kleine Bub auf der Onkologie und zeigt auf ein Bild im Buch. Das Kranksein kann er für kurze Zeit vergessen.