Er hat als Kind das Konzentrationslager Gusen erlebt – als Sohn des Lagerkommandanten: Walter Chmielewski hat viel zu erzählen, vom Krieg und vom Lager, das drei Mal in seinem Leben eine Rolle gespielt hat.
Ausgabe: 18/2017
02.05.2017 - Christine Grüll
Von einem Ereignis hat Walter Chmielewski heute noch die Geräusche im Ohr. Er war auf dem Weg von der Schule nach Hause. Auf der Linzer Eisenbahnbrücke über die Donau erwischte ihn ein Bombenangriff. Das Brummen der Flugzeuge, das Pfeifen der Bombe und wie die Splitter in der Eisenkonstruktion der Brücke geklingelt haben – „das war ein Konzert, wie ich es nie vergessen werde“.
Kontakt zu den Häftlingen
Zuhause, das war damals St. Georgen an der Gusen. Walter Chmielewskis Vater Carl war Lagerkommandant im Vernichtungslager Gusen. In das Lager ging der Bub Walter, wenn er einen Haarschnitt brauchte oder einen Arzt. Er wusste, wenn es krachte, hatte ein Häftling versucht zu flüchten. Das Krematorium rauchte, weil Tote verbrannt wurden. Manchmal erzählte der Vater von Häftlingen, die im Steinbruch abgestürzt waren. Aber von den Saufgelagen, den extremen Grausamkeiten und Exzessen seines Vaters und der anderen Männer der Schutzstaffel SS wusste Walter Chmielewski nichts. „Wenn Vater angefangen hat, über das Lager zu reden, wollte meine Mutter das nicht hören“, sagt Walter Chmielewski: „Die Häftlinge, die als Handwerker in unser Haus kamen, haben von ihr dasselbe Essen erhalten wie die Wachmänner.“ Von seiner Mutter und seinem Großvater hat er eine sozialdemokratische Einstellung mitbekommen. Die konnte ihm auch die Zeit in der „Napola“, der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt der Nationalsozialisten, nicht nehmen.
Das Ende der Kindheit
Im Jahr 1943 hat sich die Mutter von ihrem Mann getrennt. Sie hatte einen Brief seiner Geliebten gefunden. Damit war Walter Chmielewskis Kontakt zu seinem Vater beendet. Im März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, war auch die Kindheit endgültig vorbei. Der 16-Jährige wurde zum Wehrdienst einberufen. Er überlebte einen schweren Angriff. Die Truppe wurde aufgelöst, er kam zu Fuß von der tschechischen Grenze bis St. Georgen, wo er von amerikanischen Soldaten gefangen genommen wurde. Wieder betrat Walter Chmielewski das Gelände des KZs Gusen. Er musste die Leichen der Häftlinge in einem Massengrab bestatten. „Wenn ich daran denke, friert’s mich heute noch.“
Kein Verzeihen
Der Vater war zu lebenslanger Haft verurteilt, aber nach 18 Jahren freigelassen worden. Walter Chmielewski hat ihn erst Ende der 1970er Jahre wiedergesehen. „Er war ein alter, kranker, fremder Mann, zu dem ich keinerlei Beziehung hatte“, erinnert sich Walter Chmielewski: „Verzeihen kann ich ihm nicht. Dazu hat er der Menschheit und meiner Mutter zu viel angetan.“
Rückkehr nach Gusen
All das hat Walter Chmielewski versucht zu vergessen. Bis zu seinem 85. Lebensjahr ist er in seinem Münchner Geschäft gestanden. Doch die Erinnerung ließ ihm keine Ruhe. Er wollte ein Buch schreiben lassen. Dem Autor Holger Schaeben ist es zu verdanken, dass es tatsächlich erschienen ist (siehe Kasten). „Ich möchte, dass möglichst viele von der Nazizeit und den Nachteilen einer Ein-Mann-Regierung erfahren“, sagt Walter Chmielewski. Vor zwei Jahren kam er zum dritten Mal nach Gusen. Er wollte Blumen auf dem Massengrab niederlegen, aber das war nicht möglich. Der Grund dafür entsetzt ihn immer noch: An der Stelle befindet sich der Garten eines Einfamilienhauses. «
Buch: „Der Sohn des Teufels“
Der Autor Holger Schaeben hat anhand der Erzählungen von Walter Chmielewski das Buch „Der Sohn des Teufels“ geschrieben. Umfangreich recherchierte Fakten zeichnen das Morden im KZ Gusen nach, den Werdegang der SS-Führungspersonen oder das Leben in den SS-Siedlungen. Mit erzählerischen Elementen und fiktiver direkter Rede zieht Holger Schaeben in das Geschehen hinein. „Ich wollte die heimelige, bürgerliche Normalität zeigen und das Grauen des Holocaust“, schreibt der Autor. Das ist ihm gelungen.
Holger Schaeben, Der Sohn des Teufels. Aus dem Erinnerungsarchiv des Walter Chmielewski, Offizin Verlag 2015.