Wort zum Sonntag
Um Kirchenmusik handelt es sich bei „The Millennials Mass“ eigentlich nicht, da dem Werk zwar das katholische Ordinarium zugrunde liegt, es aber nicht für die Liturgie komponiert wurde.
Christoph Zimper, Sie wurden mit 31 Jahren Professor an der Musikuni in Wien. Wie haben Sie das geschafft?
Zimper: Das war ein fast kosmisches Zusammenspiel von vielen Dingen. Ich hatte vorher schon die Assistenz hier und habe dadurch entdeckt, dass mir das Unterrichten liegt. Es kommt einer gewissen Selbstreflexion gleich. Alles, was man jemandem anderen sagt, sagt man ja auch zu sich. Aber dass es geklappt hat mit dem Berufungsverfahren, dafür bin ich jeden Tag dankbar.
Es braucht sicher auch Fachkompetenz.
Zimper: Ja, als Musiker hat man diese Jahre, die ein gewisses Kontinuum verlangen. Ich will nicht sagen Anstrengung, weil Anstrengung oft etwas ist, das in die falsche Richtung geht. Nicht wer am meisten arbeitet, erntet die meisten Früchte. Aber es verlangt ein Kontinuum, das kann ich bestätigen.
Mit der Frage „woran glauben“ beschäftigen Sie sich auch kontinuierlich. Warum?
Zimper: Als Kind bin ich mit dem katholischen Glauben groß geworden, habe den Dialog mit Gott auch gelebt. Wie es heute oft passiert, kam später ein Konflikt und auch eine Verwechslung mit der Institution Kirche dazu. In meinen frühen Zwanzigern habe ich dem also den Rücken gekehrt. Später habe ich bemerkt, dass mir die Qualität des Urvertrauens fehlt. Dann habe ich mich auf die Suche nach dem Urvertrauen begeben, ohne äußere Bilder „essen“ zu müssen, ohne das oder das lesen zu müssen. Ich wollte es aus mir herauswringen wie aus einem nassen Fetzen. Das ist ein Prozess.
Warum haben Sie eine Messe komponiert?
Zimper: Ich wollte diesen spirituellen Prozess verbinden mit meiner künstlerischen Arbeit. Das Wort Messe hat mich angesprochen. Diese Suche, die ich durchlebe, ist ja nicht nur meine Suche, das ist ein Prozess, den ganz, ganz viele Menschen durchleben. Dabei habe ich bemerkt, dass der Begriff „Messe“ so polarisiert, so unneutral ist, und so un-hip, dass es schon fast hip ist. Auch die Form der Messe fand ich sehr reizvoll. Wenn man das in der Urbedeutung nimmt! Herr, erbarme dich unser! Kyrie eleison! Als ob man sagen würde: „Hej, lass uns diesen Prozess der Suche einläuten!“
Wie haben Sie das Urvertrauen gefunden?
Zimper: Das Vertrauen hängt bei mir ganz stark zusammen mit der Seelenhygiene, die ich pflege. So wie der Körper eine Pflege braucht, braucht das die Seele auch.
Wie machen Sie das?
Zimper: Es ist eine Mischung. Ab und zu gehe ich pilgern, weitwandern. Meditation. Freies Tanzen ist für mich auch ein Ausdruck des Entleerens. Auch die Literatur, die Bücher, die mich begleiten. Das Tagebuch, das ich schreibe. Am allermeisten sind es die Begegnungen. Was man allein macht, ist das Trockentraining. Und dann kommt „the real shit“, der Ernstfall, durch die Begegnung.
Warum heißt das Werk „The Millennials Mass“?
Zimper: Die „Millennials“ sind die Generation, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurde. Ich gehöre dazu. Wir haben von zuhause noch ein wenig Kirchenerfahrung mitbekommen. Davor wurde Kirche noch mehr gelebt. Die Generation nach uns, da ist Kirche gar kein Thema mehr. Da gibt es irgendwelche Gebäude, und der Rest ist kryptisch. Wir sind diese Zwischengeneration, die sich großteils von dem Alten verabschiedet hat, aber beim Neuen gesehen hat, dass da etwas fehlt. Die Musik ist besonders für diese Generation geschrieben, aber natürlich auch für Menschen außerhalb dieser Generation.
Haben Sie eine Lieblingsstelle?
Zimper: Ja, der Schluss, wo alle Motive zusammen gekommen. Er wird eingeleitet durch die Worte „Remember why you came here. Remember your life is sacred“ („Erinnere dich, warum du gekommen bist. Erinnere dich, dein Leben ist heilig“). Ganz am Schluss kommt der Sopran mit einem lateinischen Seneca-Zitat, das sich über alles drüberlegt. Übersetzt heißt es: „Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen“. Das ist ein Bezug zur Pandemie, heißt aber auch: Niemand kann jemand anderer sein als er oder sie selbst.
Welche Rolle spielt die Musik in der Gesellschaft?
Zimper: In der Gesellschaft wird sehr kritisch auf Wirtschaft und Politik geschaut, das sind oft „die Bösen“. Die Kunst wird nicht wirklich in die Verantwortung genommen. Tatsächlich glaube ich, dass Kunst und Kultur und Kirche die Säulen sind, die wahrscheinlich am ehesten versagen, weil sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden als Gewissen der Gesellschaft. Das ist verwahrlost. Die Kunst wird oft reduziert auf Unterhaltung oder ein „sophisticated“ Extra auf intellektueller Ebene. Ich würde mir wünschen, dass sich Kunst und Kultur wieder ganz klar positionieren als eine tragende Säule der Gesellschaft. Dass ich Prozesse in dem Zuhörenden auslöse. Ich muss keine Antworten liefern. Aber wir haben Zugriff auf einen Teil des Gehirns, wo andere keinen Zugriff haben. Den wach zu kitzeln, das ist unsere Aufgabe. Mehr nicht. Aber das ist schon riesig.
Ein Trend ist die Dauerberieselung, andererseits trocknet der aktive Zugang zur Musik aus.
Zimper: Musik von ihrem Urverständnis her ist der hörbare Ausdruck der Seele. Da muss etwas heraus, Freude, Trauer, was gerade da ist. Das ist nicht die Art Musik, die an der Musikuniversität vorwiegend gepflegt wird. Der Zugang verändert sich zwar langsam, es könnte aber schneller gehen.
Spiritualität und Musik sind untrennbar. Warum gibt es so wenig zeitgenössische geistliche Musik?
Zimper: Das öffnet ein unendliches Feld. Wenn die spirituelle Welt und die Kunstwelt sich zusammenschließen würden und sagen: „Vielleicht sind wir jetzt die, die gebraucht werden in der Gesellschaft! Vielleicht kann vieles nicht die Politik lösen oder die Wirtschaft“, dann würde das einen wirklich heilsamen Prozess einläuten.
Was wünschen Sie sich von der Kirchenmusik?
Zimper: Die Bemühungen um neue Kirchenlieder sind zu wenig radikal. Ich muss die Leute dort abholen, wo sie sind. Sonst erreiche ich sie nicht.
Wie geht das?
Zimper: Da geht es gar nicht um Stilistik, ob ich einen Synthesizer einsetze oder nicht. Ich muss als Hörender das Gefühl haben, dass das etwas mit mir zu tun hat. Ein junger Mensch, der die alten Geschichten vorgelesen bekommt, auch wenn sie mit Gitarre und Schlagzeug vorgetragen werden, erlebt, dass das nichts mit ihm zu tun hat. Vielleicht im überüberübernächsten Schritt, aber nicht unmittelbar. Erst geht es einmal darum: Wo stehe ich? Was sind meine Issues, meine Anliegen, meine Probleme? Meine Düfte, nach denen ich mich sehne? Also: Die Leute da abholen, wo sie sind.
Wie sieht das konkret aus?
Zimper: Ich nenne ein Beispiel. Was machen Jugendliche? Sie sind auf Instagram und TikTok. Beauty, Musik und Social-Media-Connection spielen eine große Rolle. Ein riesen Ding ist der negative Vibe, die subtile Stimmung, die auf Social Media mitschwingt: Alle anderen haben so ein tolles Leben, fuck, und ich muss versuchen, meines auch so toll darzustellen. In Wahrheit haben wir alle nicht so das Instagramleben, wie es aussieht. Das ist ein Schmerzkörper, der sich bei jungen Leuten entwickelt hat. Und wenn ich ihn nur erwähne! Ich muss ja noch keine Lösungen anbieten. Aber ich kann diesen Schmerzkörper in den Fokus rücken. Und wenn die Menschen das Gefühl haben: „Ja, das kenne ich!“, dann ist es schon genug. Es ist ein langsamer Prozess. «
Christoph Zimper (35) ist Professor für Klarinette an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw). Mit seiner Berufung im Jahr 2017 ging die Position erstmals in der 200-jährigen Geschichte der mdw an einen Musiker außerhalb des Wiener-Philharmoniker-Ensembles. 2015 gründete Zimper das „Weißensee Klassik Festival“. Er war Soloklarinettist im Mozarteum Orchester Salzburg, erhielt Preise, Auszeichnungen und ein Stipendiat der Angelika Prokopp Privatstiftung der Wiener Philharmoniker. Außerdem war er Mitglied der Akademie der Münchner Philharmoniker unter Lorin Maazel.
Messe. Um der Stimme vieler junger Menschen Ausdruck zu verleihen, die sich nach spirituellem Halt sehnen, komponierte Christoph Zimper „The Millennials Mass“, ein Werk für zehn Musiker/innen in der Form einer lateinischen Messe. „The Millennials Mass“ wurde am 2. Juni 2021 im „MuTh“ am Wiener Augarten uraufgeführt, dabei wurde das Debüt-Album Christoph Zimpers der Öffentlichkeit präsentiert. Die Musik kann auf CD bestellt oder online gekauft und heruntergeladen werden unter col-legno.com.
Am 22. November gedenkt die Kirche der heiligen Cäcilia, Patronin der Kirchenmusik. Zu diesem Patronat kam sie wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind. Liturgische Musik spielt in ihrer Lebenslegende so gut wie keine Rolle. Die Kirchenmusik und alle damit befassten Menschen zum Fest der heiligen Cäcilia hochleben zu lassen, wurde dennoch zu einer schönen Tradition.
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