Wort zum Sonntag
Man dachte, dass sich Merkmale über das Blut von Generation zu Generation übertragen. Gregor Mendel fand eine neue Erklärung. Doch niemand verstand seine Ideen, nicht einmal andere Wissenschaftler.
Der Bub aus einer Kleinbauernfamilie in Österreichisch-Schlesien fiel schon in der Volksschule auf, weil er so klug war. Nur deshalb bekam er die Chance, eine höhere Schule zu besuchen. Zu essen hatte er fast immer zu wenig und war daher körperlich und psychisch wenig belastbar. Eine Empfehlung zum Eintritt in die Augustiner-Abtei in Alt-Brünn kam allen zugute: Johann, wie Gregor Mendel mit Taufnamen hieß, musste nicht mehr hungern, und die Augustiner hatten einen klugen Kopf mehr im Konvent. Die Pflege der Wissenschaft war den Mönchen ein großes Anliegen.
Mendels Lieblingsfach war die Physik gewesen. Er interessierte sich aber für vieles, besonders für Obstbaumveredelung, die er von zuhause kannte, für Wetterkunde, für Imkerei, für Mathematik, Statistik und mehr. Diese Vielfalt an Interessen ermöglichte ihm eine kreative Forschung. Denn physikalische Experimente im Labor waren bekannt, genaue Beobachtung und statistische Auswertung auch. Nur hatte diese Methodik noch niemand auf die Biologie übertragen.
Der Mönch arbeitete präzise mit seinen Erbsen, achtete in seinem „Labor“ auf standardisierte Bedingungen, schnitt zum Beispiel den Staubbehälter jeder Erbsenblüte ab und übertrug die Pollen mit einem Pinsel, um die Befruchtung unter Kontrolle zu haben. Die Arbeit an den extrem kleinen Pflanzen machte zeitweise den Augen zu schaffen, wie Aleš Zápotocký erzählt, der durch das Alt-Brünner Mendel-Museum führt. Im Museum ausgestellt sind neben handschriftlichen Notizen und frühen Drucken auch Gregor Mendels Augengläser aus der Wiener Rotenturmstraße, wie das Etui verrät.
Der Augustinermönch war Anhänger einer damals neuen Hypothese: dass Lebewesen aus einzelnen Zellen bestehen. Durch seine langjährigen, genau notierten Erbsen-Kreuzungsexperimente erkannte er: Die Träger der Merkmale sind (bei Erbsen und vielen anderen Lebewesen, wie zum Beispiel Menschen) in den Zellen paarweise vorhanden. So gibt es dominante und rezessive Merkmale – also Merkmale, die sich in manchen Generationen „verstecken“, obwohl sie in den Zellen vorhanden sind. Je nach Kombination in weiteren Generationen treten diese Merkmale später wieder auf, und zwar in vorhersehbaren Mengen.
Das gelte allerdings nicht für alle Merkmale, darauf weist der Museumspädagoge Aleš Zápotocký hin. Es war auch ein gewisses Glück dabei, dass Mendel sich für die Beobachtung bestimmter Merkmale entschied, bei denen die Vorhersagen wirklich funktionierten.
Da seine Kollegen die Logik hinter den Beobachtungen und Berechnungen nicht verstanden, blieb Mendels wissenschaftliches Hauptwerk zunächst ein Flop. Als ihm Jahre später ein Neffe das Angebot machte, das Werk ein zweites Mal herauszugeben, soll Gregor Mendel abgelehnt haben mit den Worten: „Meine Zeit wird schon noch kommen.“ Die Zeit kam, allerdings erst nach Mendels Tod.
Einen großen Unterstützer hatte er in seinem ersten Abt, Cyrill Franz Napp. Dieser war den Naturwissenschaften gegenüber aufgeschlossen – und sah darin auch einen christlichen Zweck: Durch Mendels Erbsenzüchtungen hoffte er auf die Entwicklung ertragreicher Pflanzen, die Menschen vor Hunger bewahren könnten. Später wurde Mendel selbst zum Abt gewählt, blieb der Forschung aber treu. «
Gregor Mendel wurde am 20. oder 22. Juli 1822 als Johann Mendel in Österreichisch-Schlesien – damals Teil der Habsburgermonarchie, heute Tschechische Republik – geboren. Während der Taufschein den 20. Juli als Tag der Geburt nennt, gab Mendel selbst den 22. Juli an. Den Ordensnamen Gregor erhielt er 1843 beim Eintritt in die Augustiner-Abtei in Alt-Brünn. Alt-Brünn (Staré Brno) ist die Bezeichnung für einen Stadtteil von Brünn (Brno), dem historischen Zentrum Mährens.
Die Masaryk-Universität in Brno betreibt ein Mendel-Museum. Es zeigt die Räume, in denen Gregor Mendel als Augustinermönch und später als Abt des Klosters wirkte, sowie Handschriften, Drucke und andere Gegenstände aus seinem Vermächtnis. Zusätzlich erklärt es die Methodik seiner Forschung, Grundzüge der Ergebnisse und seine darauf beruhenden drei „Mendelschen Regeln“, die auch heute noch von Bedeutung sind. Der jüngste Teil der Ausstellung erklärt spielerisch, was Gregor Mendel noch nicht kennen konnte: Das Innere der Zelle, die Struktur der DNA und wie sie Erbanlagen weitergibt.
https://mendelmuseum.muni.cz/en
Die Räumlichkeiten für das Mendel-Museum stellt die Augustiner-Abtei Alt-Brünn zur Verfügung. Das Gebäude geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Bis zur Aufhebung durch Kaiser Joseph II. war es ein Zisterzienserinnen-Stift. 1783 zogen die Augustinermönche von der heutigen Stadtmitte in das leerstehende Kloster in Alt-Brünn.
In der späteren Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik waren katholische Männerorden verboten, das Gebäude wurde verstaatlicht und erst nach der Samtenen Revolution 1989 restituiert. Die Geschichte der Brauerei „Starobrno“ steht mit der Geschichte des Klosters in Verbindung, die Brauerei steht bis heute unmittelbar neben dem Kloster.
In der Stadtmitte von Brno, oberhalb des historischen Kohlmarkts, gibt es einen weiteren Ort, der das Erbe von Gregor Mendel zugänglich macht: Das „Centrum Mendelianum“ des Mährischen Landesmuseums.
Zwischen Wien und Brno
Das österreichisch-tschechische EU-Projekt „G. J. Mendels Vermächtnis für Wissenschaft, Kultur und Menschheit“ wurde aus Anlass des 200. Geburtstags von Gregor Mendel eingereicht und hat eine langfristige grenzüberschreitende Zusammenarbeit zum Ziel.
Sichtbarer Ausdruck des Projekts ist die Rekonstruktion des Glashauses im Hof der Augustiner-Abtei Alt-Brünn, in dem Gregor Mendel Erbsen zur Beobachtung und statistischen Auswertung züchtete. Das neue Glashaus soll bis Ende 2022 fertiggestellt sein und als Veranstaltungsort für Vorträge oder Konzerte dienen.
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