Wort zum Sonntag
Hochrangige Vertreter der christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich sehen den diesjährigen Hiroshima-Gedenktag am kommenden Sonntag (6. August) vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Kriegs als besonders dringlich an. "Die Welt ist nicht nur unsicherer geworden, der Schrecken ist mit dem Krieg in der Ukraine ganz nah vor unsere Haustüre gerückt", wies Kardinal Christoph Schönborn in seinem Grußwort an die Veranstalter einer Kundgebung in Wien zum Gedenken an die Atombombenexplosionen hin. Vor 78 Jahren habe das Inferno der Explosion über Hiroshima und Nagasaki gezeigt, zu welchem Grauen Menschen fähig sind. "Sie sind zum Sinnbild des nuklearen Schreckens geworden", so der Wiener Erzbischof.
Auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner nannte es "bedenklich", in welche Richtung sich die Atomwaffenpolitik der Welt bewege. Der Ausstieg Russlands aus dem "New Start"-Vertrag zur Atomwaffenbeschränkung im Februar dieses Jahres lasse einen neuen Kalten Krieg befürchten. Es gebe zwar Stimmen, die meinen, es werde zu keinem nuklearen Schlagabtausch kommen - "zu bewusst seien die fatalen Konsequenzen auch den Drohenden selbst", schrieb Lackner in seinem Grußwort. Es bleibe zu hoffen, "dass diese Einschätzung so richtig ist, wie sie es in vergangenen Jahrzehnten gewesen sein mag".
Die Erde sei heute "bedroht durch Krieg, Not, besonders und immer stärker durch die Auswirkungen des Klimawandels", so die Sorge des Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz. Die Schöpfung zu bewahren, sei den Menschen "von einem menschenfreundlichen Gott anvertraut". Lackner rief dazu auf, das Möglichste zu tun, damit sich die Welt all der Waffen entledigt, "aus denen nur der Untergang aller erwachsen kann".
Zu den Atombombenabwürfen des Jahres 1945 und der damit verbundenen Hiroshima-Aktion in Wien äußerten sich u.a. auch "Pax Christi"-Bischof Hermann Glettler (Innsbruck), Militärbischof Werner Freistetter, die Diözesanbischöfe Manfred Scheuer (Linz) und Josef Marketz (Gurk-Klagenfurt), der Sozialethiker und Präsident von Pax Christi Österreich, Wolfgang Palaver, Pastoraltheologe Paul Zulehner, die evangelischen Superintendenten Matthias Geist, Olivier Dantine und Robert Jonischkeit, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld und die altkatholische Bischöfin Maria Kubin. Mehr als 100 Grußadressen für eine Welt ohne Atomwaffen, ohne Krieg und ohne AKWs liegen vor.
Die Hiroshima-Gruppe Wien, Pax Christi Wien und die Wiener Friedensbewegung stehen am Sonntag, 6. August, ab 18 Uhr auf dem Wiener Stephansplatz auf "gegen die beiden größten Bedrohungen der Menschheit: Atomkrieg und Klimakatastrophe", so die Ankündigung. Friedensaktivist:innen sprechen über atomare Bedrohung, es erklingen Friedenslieder. Ab 20.30 Uhr folgt ein Laternenmarsch zum Teich vor der Wiener Karlskirche. (Info: www.hiroshima.at)
Kardinal Schönborn bedauerte in seinem Grußwort, dass die Menschheit auch heute "von einer Welt ohne Atomwaffen und einer Welt, die im Frieden lebt, noch immer weit entfernt" sei. Im Gegenteil, die Bedrohung sei durch den Krieg in der Ukraine realer geworden. Frieden und Stabilität sei nur durch die Bereitschaft zum Dialog und gemeinsamen Einsatz im Miteinander zu erreichen, "niemals durch die gegenseitige Androhung der atomaren Vernichtung, oder durch ein Klima von Angst und Misstrauen", betonte Schönborn. Alle Menschen trügen die Sehnsucht nach einem Leben in Frieden, Freiheit und Würde in sich. Der Kardinal schloss mit dem Appell: "Übernehmen wir gemeinsam Sorge und Verantwortung für unsere Schöpfung, setzen wir uns für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen ein, für Gerechtigkeit und Frieden!"
Die jüngsten Militärparaden totalitärer Diktaturen stellen für den Innsbrucker Bischof Glettler "apokalyptische, aber sehr reale Warnbilder" dar. Die "diabolische Versuchung" setze unvermindert auf die "dunkle Faszination, den Feind und damit die ganze Menschheit binnen Sekunden vernichten zu können". Die nukleare Pattsituation zwischen verfeindeten Großmächten scheine aufgrund der vielen weltweit zunehmenden Krisen und Ungerechtigkeiten und der Nichtanerkennung internationaler Vereinbarungen durch einzelne Staaten "besorgniserregend brüchig zu sein", warnte Glettler.
Am Traum einer atomwaffenfreien Welt gelte es unbedingt festzuhalten. Oberstes Ziel müsse nukleare Abrüstung und Ächtung von Atomwaffen sein. Ebenso wichtig ist nach den Worten des Bischofs die Beseitigung der Ursachen für einen potenziellen Einsatz von Atomwaffen - "durch die Schaffung gerechterer sozio-ökonomischer und politischer Verhältnisse".
Militärbischof Freistetter hat, wie er schrieb, mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems miterlebt, wie das Drohpotenzial durch Atomwaffen verringert und Vertrauen aufgebaut werden konnte. Der Weg zu einer internationalen Wiederabrüstung müsse durch intensive Verhandlungen geebnet werden, "im Bewusstsein, dass die ganze Völkergemeinschaft von der Bedrohung durch Atomwaffen betroffen ist". Sich für dieses Ziel unbeirrbar einzusetzen, ist für Freistetter eine "Verpflichtung, die uns alle angeht".
Bischof Marketz erinnerte an die mahnenden Worte von Papst Franziskus zum Weltfriedenstag am 1. Jänner, wonach Krieg eine "Niederlage für die ganze Menschheit ... und nicht nur für die direkt beteiligten Parteien" sei. Dies verpflichte zur Fortführung der jahrzehntelangen Zusammenarbeit der katholischen Kirche mit der Friedensbewegung Wien im Einsatz für Menschenwürde, internationale Gerechtigkeit und Frieden.
Auf die von Immanuel Kant zugrunde gelegte Idee eines Völkerrechts, das die Verbindlichkeit zwischenstaatlicher Abkommen festlegt, wies der Linzer Bischof Scheuer hin und forderte: "Wir dürfen nicht nachlassen, diese rechtliche Ausrichtung auf Frieden, die immer wieder bedroht ist, einzufordern und auf politische Friedensbemühungen hinzuwirken - auch wenn die Erfolgsaussichten noch so gering scheinen."
Für Österreich sei nicht eine "wehrhafte" Neutralität das Gebot der Stunde, "sondern eine Neutralität, die friedensstiftend sich als Vorreiterin der vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit erweist", hielt Pax-Christi-Präsident Wolfgang Palaver fest.
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