Wort zum Sonntag
Die Kirche muss sich daran gewöhnen, dass sie in 20 Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein wird, sagt der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner. 35 Jahre lang lehrte er an der Universität und erforschte das kirchliche Leben mit soziologischen Methoden. Auch seit seiner Emeritierung 2008 ist der Wiener Priester in der Forschung aktiv. „Priester 2000“ war eine großangelegte Studie in mehreren mitteleuropäischen Ländern, die er 2001 publizierte. Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Erfahrung liest und interpretiert er auch die jüngste Studie über Neupriester, die die Deutsche Bischofskonferenz beim Zentrum für angewandte Pastoralforschung in Bochum in Auftrag gegeben hat (siehe rechte Randspalte).
Allerdings sei die mitteleuropäische Studie „Priester 2000“ noch in „ruhigeren Zeiten“ durchgeführt worden, merkt der Pastoralexperte an. „Wenn die neue Studie einen Priesterschwund von 79 Prozent für die Jahre 2000 bis 2022 angibt, dann muss man sagen: Es hat sich substanziell etwas verändert.“ Besonders stark zeige sich in der deutschen Studie der Ausfall der Priester vom Typ „weltoffene, im Evangelium verwurzelte Gottesmänner“. Die Tendenz ginge immer stärker in Richtung der „weltabgewandten, zeitfremden Kleriker“. Das macht Zulehner Sorgen. „Allein mit diesem Typus kann die Kirche die Zukunft nicht meistern.“ Es brauche auch den balancierenden Typus, der das Kreuz zwischen Welt und Kirche trägt. „Und der fehlt immer mehr.“
In der Studie „Priester 2000“ sei es aber noch leichter gewesen zu differenzieren – aufgrund der „damals sehr opulenten Beteiligungszahlen“. Ein Rücklauf von 17,8 Prozent der zur neuen deutschen Studie eingeladenen Teilnehmer ist zwar für eine Online-Umfrage laut Paul M. Zulehner normal, „für die Aussagekraft ist es aber wenig“. Dennoch kann man Entwicklungen aus der Studie herauslesen wie etwa das Ende des traditionellen Priesterseminars. „An die Stelle oder als Ergänzung des Priesterseminars kommt so etwas wie ein Gemeindeseminar“, formuliert der Theologe seine These. Er denkt dabei an gemeindeerfahrene Personen „in lebendigen Gemeinden, die natürlich Eucharistie feiern wollen. Denn es ist laut Lehre der Kirche die Grunderfahrung der österlichen Botschaft, dass Tod und Auferstehung die Mitte des kirchlichen Lebens bilden.“
Damit die Gemeinde Eucharistie feiern kann, wählt sie eine erfahrene Person aus dem eigenen Kreis, die zunächst professionell ausgebildet und danach für einen größeren Raum ordiniert und zugeordnet wird, „vielleicht auf Zeit“. Paul M. Zulehner spricht vom Gemeindeseminar als „Ergänzungsweg zum Priesterseminar“. Die Zugangsbedingungen würden sich dadurch radikal ändern. „Da zählt dann nicht das Geschlecht oder die Lebensform oder die volle akademische Ausbildung. Wir bekommen einen neuen Typ Priester!“ Denn ohne Priester, das steht für den Experten fest, „wird es kein katholisches Leben mehr geben“. Es drohe eine mutlos selbstverursachte Umformung in eine nicht einmal mehr protestantische Kirchenform.
Zulehner nennt die Berufung eines Gemeindepriesters aus der Gemeinde für die Gemeinde eine Folge vom „Ende des freien Berufungsmarkts“. Der Blickwinkel ändere sich von der Priesterkirche zur Kirche des Gottesvolkes, weg von einer Dienstleistungskirche hin zu einer vom Volk Gottes getragenen Kirche – die dennoch gute Dienste leistet. Der Pastoraltheologe ist deshalb auch vorsichtig bei der vorschnellen Änderung der Weihebedingungen, ohne die Veränderung größer zu denken.
„Im Grunde genommen wäre das die Verlängerung einer sterbenden Gestalt von Kirche, nämlich der Priesterkirche. Jetzt den Pool an Priestern kurzfristig aufzufüllen durch die Weihe von Frauen oder die Auflösung des Zölibats, würde eine sterbende Gestalt der Kirche nur verlängern.“ Dass das ordinierte Amt wirklich ein Dienst am Volk Gottes wird, sei das Ziel. „Man kann nicht aus der Ordination, aus der Weihe der einen, die Unterordnung der anderen ableiten. Das geht nicht. Es gibt eine fundamentale Gleichheit an Würde und Berufung. Ich glaube, wir stehen an einer epochalen Transformation der Kirchengestalt, und die Frage, wie wir zu Priestern kommen, ist ein Teil dieser Transformation.“
Es gehe um viel mehr als praktisch zu fragen, wie man die fehlenden Priester ersetzen könne. Wie der epochale Wandel gelingen kann, ist Teil einer Zulehner-Studie zur Evaluierung der diözesanen Strukturreformen. Diese Studie ist im Entstehen, die Ergebnisse werden 2025 veröffentlicht. Und sie werden „hochexplosiv“ sein, so viel sei verraten.
Der emeritierte Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner hatte selbst um das Jahr 2000 die religionssoziologische Studie „Priester 2000“ in Mitteleuropa durchgeführt und dazu zwei Bücher veröffentlicht:
Zulehner, Paul M.: Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie Priester 2000, und Zulehner, Paul M./Hennersperger, Anna: „Sie gehen und werden nicht matt“ (Jesaja 40,31). Priester in heutiger Kultur, Ergebnisse der Studie Priester 2000, beide Titel Ostfildern 2001
Die Deutsche Bischofskonferenz und das Bochumer Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) veröffentlichten eine Umfrage über die Motivation und Herkunft neuer Priester.
Die Studie „Wer wird Priester?“ zeigt, dass die meisten Neupriester in Deutschland aus dem konservativ-bürgerlichen, volkskirchlich geprägten Milieu stammen. Im Winter 2021/22 waren rund 2.500 Personen zur Teilnahme eingeladen, darunter knapp 850 Priester, die zwischen 2010 und 2021 geweiht worden waren, sowie außerdem fast die doppelte Anzahl Männer, die in diesem Zeitraum das Priesterseminar vorzeitig verlassen hatten. 153 Priester sowie 18 Seminarabbrecher füllten die Online-Umfrage aus.
Die Studie zeigt unter anderem, dass das soziale Umfeld, aus dem Priester kommen, in Deutschland sehr einheitlich ist. So gaben fast 85 Prozent an, aus der (teils oberen) Mittelschicht zu stammen. Das Arbeitermilieu ist nur mit 6,2 Prozent vertreten und liegt deutlich unter dem Durchschnitt der deutschen Gesellschaft von 21,5 Prozent. Junge Priester setzen eher auf die Entwicklung ihrer persönlichen Spiritualität, während die ihnen zugeschriebene Führungsposition in den immer größeren Gemeinden eine deutlich geringere Rolle spielt.
Der Hauptautor der Studie, Pastoralforscher Matthias Sellmann, sieht „eine starke Notwendigkeit zum Umsteuern in der Berufungspastoral und der Priesterausbildung“.
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