Zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos schrieb es Papst Franziskus den Bossen noch einmal ins Stammbuch: Wir brauchen eine grundlegend andere Wirtschaftsordnung, in der nicht weite Teile der Menschheit von Arbeit und Einkommen ausgeschlossen bleiben.
Ausgabe: 2014/05, Papst Franziskus, Katholische Arbeitnehmer/innen-Bewegung, Weltwirtschaftsforum, arbeitslos, Halbmayr, arm
29.01.2014 - Alois Halbmayr
Wie sind sie doch in den großen Medien kritisiert worden, die Passagen, in denen Papst Franziskus in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ zum real existierenden kapitalistischen Wirtschaftssystem Stellung bezog (vor allem Nr. 54 bis 60 und Nr. 185 bis 220). Er habe, so der Vorwurf, ein viel zu einseitiges, wenn nicht sogar falsches Bild von sozialer Marktwirtschaft, er übersehe deren Erfolge, verachte die Reichen, träume von falschen Alternativen. Tatsächlich spart Franziskus nicht mit harscher Kritik, wie sie für ein päpstliches Schreiben doch sehr ungewöhnlich ist. Die entscheidende Frage lautet jedoch, ob sie sachlich gerechtfertigt ist. Unter dieser Perspektive zeigt sich ein anderes Bild: Franziskus hat nicht, wie wir das in Österreich gewohnt sind, die immer noch relativ gut funktionierende, mehr oder minder soziale Marktwirtschaft europäischer Prägung vor Augen, sondern er blickt aus Sicht der Länder des „Südens“ die auf neoliberalen Ökonomien und Gesellschaften, die in vielen Teilen der Welt wachsende Massen an Menschen von jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen.
Von der Wirtschaft ausgeschlossen
Der Papst greift in diesen Passagen zum Stilmittel der prophetischen Rede und Kritik, einer Sprachform, die aus den kirchlichen Amtsstuben weitgehend ausgezogen ist und daher ungewöhnlich und für manche anstößig erscheint. Hier wird ja kein Beitrag für ein Lehrbuch der Nationalökonomie verfasst, sondern mit deutlichen Worten und in Solidarität mit den Ausgeschlossenen auf die Schattenseiten und Fehlentwicklungen hingewiesen. Hier fällt auch der viel kritisierte Satz: „Diese Wirtschaft tötet.“ (EG 53) Dabei wird aber geflissentlich das Wort „diese“ übersehen. Denn der Papst bezieht sich, im Satz davor, auf eine konkrete Wirtschaft, auf jene „Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“. Er beklagt, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann auf der Straße erfriert, „während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung“ (EG 53). Ausschließung ist auch, wenn der Mensch wie ein Konsumgut betrachtet wird, wenn er zum Müll, zum „Abfall“ wird. Der Papst fordert von der Wirtschaft nicht weniger, als dass sie den Menschen zu dienen hat – und nicht dem Geld. Das verlangt ein grundlegendes Umdenken. Entschieden wendet sich Franziskus auch gegen die so genannten „Überlauf“-Theorien (trickle-down theories), wonach bei entsprechendem Wirtschaftswachstum quasi automatisch auch die ärmeren Schichten profitieren würden. Diese Ansicht, so der Papst, ist naiv, wird von den Fakten widerlegt – und die Ausgeschlossenen würden weiter warten (EG 54).
Ausgeschlossen, mitten unter uns
Es gibt kaum ein brennendes gesellschaftliches Thema, das der Papst auslässt und nicht einer prophetischen Kritik unterzieht, von der sich auch Europa angesprochen fühlen sollte. Denn Marginalisierung und Ausschließung gibt es auch bei uns. Man denke nur an das himmelschreiende Unrecht der Jugendarbeitslosigkeit (Italien: 41%, Spanien über 50%!). Armut und Elend, Korruption und Steuerhinterziehung, prekäre Arbeitsverhältnisse und Wohnungslosigkeit, sie wachsen nicht nur an den Rändern Europas, sondern breiten sich mitten unter uns, oft versteckt und (noch!) unbemerkt, aus.
Die Kirche hat keine andere Wahl
Mehrmals wird im Text betont, dass auch er, der Papst, kein „Monopol für die Interpretation der sozialen Wirklichkeit oder für einen Vorschlag zur Lösung der gegenwärtigen Probleme“ (EG 184) habe. Aber er zeigt, dass eine missionarische Kirche, die sich dem Geist Jesu verpflichtet fühlt und aus der Begegnung mit ihm heraus lebt, gar nicht anders kann als eine Option zu treffen für all die, „welche die Gesellschaft aussondert und wegwirft“ (EG 195). Gerade in den ökonomischen Passagen ist dieses Schreiben stark von befreiungstheologischem Gedankengut geprägt, ohne dass es als solche ausgewiesen wäre. Auch das ist eine bemerkenswerte Veränderung: So lange bekämpft und angefeindet, ist die Befreiungstheologie nun auch in Rom angekommen.
„Die eigene Schönheit des Evangeliums kann von uns nicht immer angemessen zum Ausdruck gebracht werden, doch es gibt ein Zeichen, das niemals fehlen darf: die Option für die Letzten, für die, welche die Gesellschaft aussondert und wegwirft.“ Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ 195
Aus der Serie "Die Freude des Evangeliums", Teil 3 von 5