Zeig mir dein Tattoo, und ich sage dir, wer du bist. – So könnte ein Gesellschaftsspiel lauten. Doch manche Tätowierungen geben Rätsel auf. Ein "Unter Uns" von Christine Grüll.
Ausgabe: 2016/38
20.09.2016 - Christine Grüll
Wenn die sommerlichen Sonnenstrahlen die Kleidungsschichten schmelzen lassen, zeigen viele ihre Tätowierungen. Ich versuchte mir auch heuer wieder vorzustellen, warum sich Männer und Frauen die Namen und Geburtsdaten ihrer Kinder in die Haut stechen lassen. Oder warum flächendeckende Ornamente, die an die Kunst der Kelten erinnern, so beliebt sind. Oder was um alles in der Welt eine bunte Comicfigur auf dem Oberarm ausdrücken soll. Da waren Runen und rechte Sprüche in Frakturschrift auf durchtrainiertem Bizeps schon eindeutiger. Einmal aber betrat ein ungewöhnliches Bild mein Blickfeld. Ein unauffälliger Mann fiel mir erst dann auf, als er seinen tätowierten Rücken entblößte. Inmitten stürmischer Wolken waren zwei junge Männer zu sehen: Jesus und der Teufel. Sie blickten einander in die Augen, bereit zum Kampf. Ein Glaubensbekenntnis? Eine Porträtübung im Tattoo-Studio? Eine Wette im Priesterseminar? Ich rätsle immer noch.